Söldner des Geldes (German Edition)
schaute sich das Video vom Flughafen Kloten an. Mehrmals.
Bis er das Offensichtliche endlich sah. Oder eben nicht sah: Anne war ohne ihre Pistole unterwegs. Sie trug ihre Waffe, eine .22er SIG Mosquito, normalerweise in einem Klemmhalfter. Entweder seitlich an der Hüfte oder auf dem Rücken. Je nach Kleid. Anne würde einen solchen Auftrag normalerweise bewaffnet ausführen. Die Schreibtischschublade, in der Anne ihre Waffe aufbewahrte, war leer gewesen. Das Nichts ist schwierig zu sehen. Wo war ihre Waffe?
31. Juli 09:17
Winter schlief unruhig, konnte sich aber an keinen Traum mehr erinnern. In der Nacht war die Temperatur auf unter zwanzig Grad gefallen. Unmittelbar nach dem Aufwachen erlag er wegen dieser Frische einen Moment lang der Illusion, alles sei in Ordnung. Dann erinnerte er sich, dass heute Annes Begräbnis war, und eine bleierne Traurigkeit senkte sich über ihn. Er frühstückte lustlos. Energiezufuhr. Er trat auf den Balkon, starrte in den bläulichen Morgenhimmel und dachte an Anne.
Mit offenem Autofenster fuhr er über Landstrassen. Die Kurven und der Wind hielten ihn davon ab, zu viel nachzudenken. Normalerweise hätte er seine Augen am Grün der Wiesen geweidet und die Kurvenfahrt genossen. Aber heute kümmerte ihn der prächtige Sommer nicht.
Unterwegs kaufte er eine tiefrote Rose. Die vielen frischen Blumen im Blumengeschäft besserten seine Stimmung nicht. Anne hatte Blumen geliebt. Sie war eine Frohnatur gewesen und hatte die Gabe, in fast allen Lagen Freude zu versprühen. Winter nahm sich erneut vor, Annes lachendes Gesicht mit den kleinen Lachfältchen um die blitzenden Augen nie zu vergessen. Nachdenklich fuhr er an vielen teuren Autos vorbei den Hügel zur kleinen weiss gestrichenen Landkirche hinauf. Seine Stimmung verdüsterte sich noch mehr, als er die schwarz gekleideten Menschen mit den aufgesetzten Trauermienen sah.
Winter erkannte den Mercedes des CEO . Der Fahrer stand im Schatten und rauchte. Unmittelbar davor stand der Audi von Schütz mit dem gelb-schwarzen Fussballschal auf der Mantelablage.
Er parkierte und ging langsam die mittelalterliche Kopfsteinpflasterstrasse zur Kirche hoch. Die Kirche war Teil einer mittelalterlichen Burg, die mehrmals abgebrannt war und wieder aufgebaut wurde.
Der Weg führte in einer Rechtskurve um den Hügel herum. Wie bei den meisten Burgen. Im Mittelalter war die Rechtskurve für die Belagerten von Vorteil gewesen. Die meisten Angreifer trugen das Schwert in der rechten Hand, den Schild in der linken und waren den Verteidigern ausgesetzt. Damals wurde in den Schlachten noch Mann gegen Mann gekämpft. Man konnte dem Gegner in die Augen schauen. Winter fand das irgendwie fairer.
Langsam erklomm er den Hügel und versuchte in seinem Anzug nicht in Schweiss auszubrechen. Wenigstens würde es in der Kirche kühl sein. Vor und hinter ihm gingen andere Trauergäste. Einige sprachen flüsternd miteinander, die meisten schwiegen. Eine ältere, stark geschminkte Dame im Rollstuhl wurde von einem jungen Mann geschoben, der sich schwitzend mit der steilen, unebenen Strasse abmühte.
Winter kannte niemanden. Einsamkeit.
Erst im Innenhof, der gleichzeitig Burg- und Kirchhof war, sah er Mitarbeitende der Bank.
Schütz winkte ihm zu. Winter steuerte auf das Menschenknäuel zu, das sich um den grossen, braun gebrannten und weisshaarigen CEO geschart hatte. Känzig hing an dessen Lippen. Winter hörte die sonore Stimme des Alphatieres. Er war gerade daran, eine Anekdote über seinen Schneider zu erzählen. Winter schüttelte schweigend die Hände seiner Kollegen und nickte ihnen zu.
Känzig konnte es nicht unterlassen: «Ah, Winter, schön, dass ich Sie wieder einmal persönlich sehe.» Winter gab ihm schweigend die Hand, ignorierte ihn und bedeutete Schütz mit dem Kopf, dass er ihn unter vier Augen sprechen wollte.
Sie zogen sich in eine Schiessscharte zurück. Winter händigte Schütz die Unterlagen von Bergen aus: «Ich wäre froh, wenn du dir die einmal ansehen könntest. Es sind die Seminarunterlagen von Galaxy. Es interessiert mich, ob dir dabei etwas auffällt. Die Unterlagen gingen in Norwegen verloren.»
Schütz nickte und blätterte die Präsentationen durch und blies bei der Teilnehmerliste anerkennend durch die Zähne: «Diese Herren gehören im Nahen Osten zur Crème de la Crème der Investoren und können locker einige hundert Milliarden US -Dollar bewegen. Ohne Hebel.»
Er deutete mit dem Finger auf eine Kolonne voller Namen:
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