Söldner des Geldes (German Edition)
damit Orafin mehr Geschäfte über uns abwickelt?»
«Meines Wissens nichts. Der Finanzchef ist jedenfalls zufrieden. Wir wickeln einen beachtlichen Teil unserer europäischen Transaktionen über deine Bank ab. Ich freue mich darauf, von Tobler einmal persönlich kennenzulernen. Kaddour hat immer mit Hochachtung über ihn gesprochen.»
«Wollte mein Chef eigentlich auch in das Kernkraftwerk bei Kairo investieren?»
«Er hat eine Andeutung gemacht, dass er interessiert sei. Aber ich habe ihm klargemacht, dass wir wenn immer möglich mit Investoren aus der Region zusammenarbeiten. Deshalb treffe ich mich morgen auch mit Al-Bader. Er will über den Private-Equity-Fonds hier investieren. Wenn uns Allah gnädig gesinnt ist, unterschreiben wir in den nächsten Tagen die Absichtserklärung.»
«Warum gerade hier in Boston?»
«Al-Baders arbeiten offenbar schon länger mit amerikanischen Universitäten zusammen. Sie haben hier universitäre Forschungsprojekte finanziert und sind Sponsoren eines Harvardlehrstuhls für alternative Anlagen. Das bringt Finanzwissen und Verbindungen. Die Familie von Al-Bader und befreundete Familien wollen global investieren. Und da ist Boston eine gute Basis. Leider ist der Nahe Osten nicht gerade ein Ort politischer Stabilität.»
«Die Al-Baders haben viele Eisen im Feuer.»
Winter verstand, weshalb Al-Bader im Privatjet unterwegs war. Al-Bader wollte das Ölgeld seiner Familie nicht einfach ein paar Banken zur Verwaltung übergeben, sondern er wollte es selbst investieren. Er investierte auf der ganzen Welt und senkte so das Risiko. Die Sicherung des Vermögens war die Voraussetzung für dessen Vermehrung.
Und sein Vorgehen war professionell. Wie der französische Sonnenkönig Louis XIV hatte Al-Bader Kabinettpolitik betrieben. Er saugte von verschiedenen Profis, die nichts voneinander wussten, Wissen ab und verglich die Fakten miteinander. Deshalb hat er sich in Bergen mit Hansen getroffen, deshalb trat er als Sponsor eines Lehrstuhls in Harvard auf, deshalb hatte er Beziehungen zu von Tobler und wahrscheinlich zu Dutzenden von weiteren Investitionsspezialisten gepflegt. Teile und herrsche.
Das Ziel war nicht eine eigene Bank, sondern ein Private-Equity-Fonds. Diese waren viel weniger reguliert und ein ideales Vehikel für eine überschaubare Zahl reicher Investoren, ihr Geld diskret zu bündeln. Winter bedauerte, dass Al-Baders Mobiltelefon beim Absturz kaputtgegangen war. Die Liste mit den Kontakten wäre sehr interessant gewesen.
Allmählich bewegte sich die Diskussion weg vom Verbrechen. Sie hatten beide das Bedürfnis, mehr über den anderen zu erfahren. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit begann die Diplomatentochter, Winter ganz undiplomatisch auszufragen. Es entwickelte sich eine Art Quiz.
«Wie viele Schwestern hast du?»
«Antwort A: fünf.» Fatima konnte ein Lachen nicht unterdrücken. «Antwort B: eine. Und Antwort C: keine.»
Fatima gab vor, angestrengt nachzudenken. Sie zog die Stirn in Falten, verdrehte die Augen und rümpfte den Mund.
«Eine?»
«Die Kandidatin hat hundert Punkte.»
Sie lachten, unterhielten sich bestens und vergassen für einen Moment die Zeit. Die familiäre Atmosphäre des italienischen Restaurants und die Wirkung des Weins trugen das Ihre dazu bei. Der Patron kam und empfahl zum Dessert sein weltberühmtes Tiramisu. Sie stimmten sofort zu und verschlangen zwei riesige Portionen. Den Süsswein lehnten sie ab, tranken aber einen doppelten Espresso.
Winter bezahlte bar – er wollte nicht, dass seine Kreditkarte eine Spur hinterliess –, fügte ein grosszügiges Trinkgeld hinzu und bedankte sich auf Italienisch beim Patron für die Gastfreundschaft. Dieser schüttelte beiden ausgiebig die Hände, überschüttete Fatima mit Komplimenten, zwinkerte Winter zu und begleitete sie bis vor die Tür.
Der Abend war angenehm. Sie beschlossen, einige Schritte zu gehen. Fatima hängte sich bei Winter ein, und sie spazierten gemütlich an der Hanover Street entlang, Richtung Expressstrasse. Sie liessen sich im Strom der Leute treiben und schauten in Restaurants, Cafés, Geschäfte für Süsswaren und Schaufenster. Am Ende der Hanover Street stiessen sie auf eine Unterführung für Fussgänger, die unter der Schnellstrasse hindurch in den moderneren Teil der Stadt führte.
Sie gingen an einem Bettler mit zur Schau gestelltem amputierten Bein vorbei und tauchten in die spärlich beleuchtete Unterführung. Es stank nach Urin. Links und
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