Sohn Der Nacht
stutzig macht, ist, daß die Zellen keiner lei Anzeichen von Gerinnung aufweisen. Wenn das Serum gerinnungshemmende Stoffe enthalten hat, dann haben sie jedenfalls nicht funktioniert.«
Katie schüttelte den Kopf. »Das ist Unsinn.«
»Genau das.«
Merrick blickte zuerst sie und dann Dr. Byner an. »Sie wol len sagen, der Mörder sei Bluter?«
»Es sieht so aus, als könnte es sich um einen Bluter han deln«, sagte Byner, »aber das ist er nicht - kann er nicht sein.«
»Bitte erklären Sie mir das«, sagte Merrick.
»Nun, zum Einstieg - wenn der Mörder Bluter wäre, hät ten wir ungleich viel mehr Blut am Tatort finden müssen. Selbst eine kleine Wunde kann einen Bluter töten, weil er immer weiterblutet, bis er durch den Blutverlust einen Schock erleidet und sein Herz zu schlagen aufhört. Wenn das Blut unseres Mörders nicht gerinnen konnte, hätten wir sehr viel mehr davon finden müssen und vielleicht auch seine Leiche.«
»Und warum haben wir sie nicht gefunden?«
»Ich weiß nicht.« Byners Schultern senkten sich herab. Er lehnte sich gegen den Labortisch.
Katie sah sich die Zellen des Mörders noch einmal an. Eine Sekunde lang schienen sie zu verschwimmen. Ihr wurde bewußt, daß genau dasselbe passiert war, als sie sie zum erstenmal betrachtet hatte. Sie hob den Kopf, drückte mit dem Finger auf jedes Augenlid und schaute noch einmal hin. Die Zellen schienen immer noch an den Rändern verschwom men. Sie spürte, wie ihr Puls schneller ging. »Dr. Byner, als Sie diese Blutzellen betrachtet haben, ist Ihnen da eine feine Korona rund um die Zellen aufgefallen?«
Byner straffte sich und war wieder hellwach. »Manchmal kam es mir auch so vor, aber ich bin nicht sicher. Eigentlich sollte da nichts sein.«
»Es könnte sich um eine Art schützende Membran han deln. Haben Sie ein I. E. gemacht?«
»Dafür fehlt mir die Ausrüstung«, brummte Byner. »Hier ist Washington, D. C, die letzte Kolonie. Um hier an ein neues Set Reagenzgläser zu kommen, ist ja ein Akt des Kongresses erforderlich.«
»Was ist ein I. E.?« fragte Merrick. Sein Blick hielt ihrem stand, und sie sah das alte Verlangen und verspürte ihrerseits Hunger nach ihm.
»Immunofixation electrophoresis. Sie könnte uns sagen, ob diese Zellen ein zusätzliches Protein oder Antigen enthalten, das in normalen roten Blutkörperchen nicht vorkommt.«
»Antigene?« fragte Merrick, den Blick noch immer auf sie gerichtet. »Sie sind für die Abstoßung verantwortlich, wenn die falschen Leute ihr Blut mischen.«
»Richtig.« Sie fragte sich, ob er das vielleicht im doppelten Sinn meinte. Seine Augen gaben ihr darauf keinen Hinweis. Wenn doch nur das, was uns widerfahren ist, so einfach zu verstehen wäre, dachte sie. »Antigene verursachen trotzdem nicht nur unerfreuliche Reaktionen«, fuhr sie fort. »Beispiels weise stößt der Körper die eigenen angeborenen Antigene nicht ab. Diese Antigene sind im Grunde Proteine, und wir wissen nicht, warum sie wirklich existieren, welche Funktion sie haben. Ich kann nur raten, aber vielleicht gibt es an diesen Zellen irgendwelche verrückten Antigene, die sie frisch erhal ten haben.«
»Was dagegen, wenn ich einmal einen Blick auf diese Zel len werfe?« fragte Merrick.
Sie nickte in Richtung des Mikroskops. Als er sich darüber beugte, konnte sie das Leder seiner Jacke riechen. Sie ver spürte einen starken Drang, ihm die Hand auf die Schulter zu legen. Statt dessen trat sie ein wenig zurück und sagte: »Siehst du die drei Zellen, die ganz prall und rot sind?«
»Ja. Aber ich sehe keinerlei Korona. Trotzdem sind sie sehr viel roter als die anderen Zellen.«
»Das kommt vielleicht vom Hämoglobin. Aus der satten Farbe schließe ich, daß diese Zellen noch nach vier Tagen Sau erstoff tragen, was eigentlich unmöglich sein sollte.«
»Dann ist das künstliches Blut.«
»Ja«, sagte sie beeindruckt. Für einen Cop ohne spezielle Ausbildung in Biologie begriff er schnell. Sie erinnerte sich, wie Merrick sie stets mit seinen Fertigkeiten und Kenntnissen überrascht hatte. Wie damals, als er sich an ihr Piano gesetzt und angefangen hatte, Rachmaninoffs Präludium in g-Moll zu spielen. Sie kannten sich erst seit wenigen Wochen, und er hatte nie gesagt, daß er Klavier spielen könne. Sie hatte erwähnt, daß das g-Moll-Präludium ihr Lieblingsstück sei, und er hatte sich einfach auf die Bank gesetzt und angefan gen, die schwierigen Passagen flüssig und mit großem Einfühlungsvermögen zu spielen. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher