Sohn Der Nacht
Plötzlich verstand er - jetzt, wo es vorüber war -, was es bedeutet hatte, unverwundbar zu sein, stärker als jeder andere, stärker selbst als die meisten wilden Sauger, die er je
gejagt hatte. Was er während neun Jahrhunderten für Furcht gehalten hatte, war in Wirklichkeit gar keine Furcht. Dies hier war Furcht - zu wissen, daß Zane ihn besiegen konnte. Daß er tatsächlich unter der Erde enden könnte, gefangen unter Tonnen von Dreck, wo er einen langsamen und schmerzlichen Tod starb, während Zane frei und unentdeckt die Welt terrorisierte.
Merricks Angst geriet fast zur Panik, die ihm die Brust zusammenzog und es ihm schwer machte, zu atmen. Er kämpfte die erstickende Furcht hinunter und versuchte, einen
Anker zu finden, einen Hoffnungsstrahl.
Wenn Zane stärker ist als ich, warum ist er dann davonge rannt?
Und dann begriff Merrick, daß Zane vielleicht gar nicht davongerannt war; daß er vielmehr eine Gelegenheit wahrzu nehmen gedachte.
Katie!
Entsetzt rannte Merrick über den Parkplatz zu seinem Wagen und betete, er werde zuerst bei ihr ankommen, wobei er eine neue Welle von Furcht spürte, als ihm klar wurde daß er, selbst wenn er als erster eintraf, vielleicht nicht in der Lage sein könnte, sie zu retten.
Merrick saß in seinem Auto vor Katies Haus und versuchte, seinen Atem wieder zu normalisieren. Zane war jedenfalls noch nicht hier. Katie unterhielt sich mit ihrer Mutter und, ihrem kürzlich eingetroffenen Gast. Ihre Stimmen klangen leise, wie unterdrückt. Und wie sollte es auch anders sein, da
sie doch wußten, daß jedes Wort von zwei Fremden draußen
auf der Straße mitgehört werden konnte?
Merrick drehte die Lautstärke seines eigenen Empfängers
auf. Der kleine Lautsprecher ließ Katies Stimme ein bißchen blechern klingen, doch er lauschte ihr verzückt. Zu wissen, daß er sie verlieren könnte, machte ihm schmerzlich bewußt, wie sehr er sie liebte. Wieder fing sein Herz an, vor Furcht heftig zu schlagen. Solange sie noch am Leben war, gab es immer noch eine Chance.
Zane war gerannt, dachte er, aber nicht, um Katie anzugrei fen. Warum dann? Hatte er in der Tat Angst vor mir - nachdem er gezeigt hatte, was er mit mir anstellen konnte? Nein, das ergibt keinen Sinn.
Vielleicht hat er versucht, mich von Jenny wegzulocken.
Aber warum? Glaubt er, ich würde ihr etwas tun?
Du hättest sie sterben lassen.
Merrick spürte einen plötzlichen Schmerz in der Brust, als presse eine gigantische Hand sich auf sein Herz. Ich habe nicht gewußt, daß sie mein eigenes Fleisch und Blut ist...
Und wenn du es gewußt hättest, hättest du sie dann gerettet?
Merrick preßte die Hände gegen das Gesicht, und die Fin ger gruben sich so hart in seine Augenlider, daß kleine Sterne auf seinen verdunkelten Retinae explodierten. Alles schien zuvor noch so klar. Jenny würde mit Sicherheit eine Mörderin werden - Verdiente sie es etwa plötzlich, als Saugerin zu überleben, nur weil sein Blut in ihren Venen floß? Falls ja, hatte er nichts durch Zane gelernt.
Wenn ich gewußt hätte, daß sie meine Enkelin ist, dachte Merrick, dann hätte ich ihr Blut gegeben.
Ich habe nichts durch Zane gelernt.
Er stöhnte. Aber, verdammt noch mal, sie ist meine Enkelin. Es ist mir egal, ich muß ihr helfen. Ich werde es bei ihr besser machen als bei Zane. Dieses Mal werde ich alles richtig machen!
Aber zuerst muß ich einen Weg finden, Zane da heraus zu halten ...
Merricks Autotelefon klingelte. Er starrte darauf, verwirrt über die Unterbrechung, und dachte noch immer an Zane, als er den Hörer aufnahm.
»Was?«
»Mr. Chapman?«
Merrick holte tief Luft und entließ sie langsam wieder aus seinen Lungen. »Ja.«
»Ja, hier ist Rudy Frank, draußen in Kalifornien. Ich hof ich störe Sie nicht.«
Der Wachmann. »Kein Problem. Was gibt's denn, Rudy?«
»Nun, ich wollte Ihnen nur erzählen, daß hier ein Bursche an Ihrem Haus vorbeigekommen ist. Ich war gerade dabei; die Hecken zu schneiden, als er den Weg heraufkam. Ich halte die Leute immer fern, wie Sie gesagt haben, aber manchmal wenn sie nett und harmlos aussehen, unterhalte ich mich auch schon mal ein wenig mit ihnen und begleite sie dann ganz freundlich hinaus. Das funktioniert besser, Sie verste hen?«
»Ich verstehe.«
»Nun, dieser Bursche liebt Ihr Haus wirklich. Er sagte, er sei kein Makler, aber er würde es gern kaufen. Ich sagte ihm, es stehe nicht zum Verkauf. Aber er fing an, von Riesensum men zu reden, wie eine Million oder auch zwei.
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