Sohn Der Nacht
dämmerte: Die beiden Männer im Streifenwagen konnten jedes Wort hören, das sie sagte.
»Sei vorsichtig«, murmelte Merrick und legte eine Hand über sein Ohr.
Sie nickte bekümmert.
Er hätte sie so gern geküßt, und schließlich gab er diesem Verlangen nach. Audrey tat so, als sehe sie es nicht, aber sie blickte zufrieden drein.
Als Merrick zum Hospital fuhr, war er endlich frei, sich auf Jenny zu konzentrieren. Sie hatte Blut von Zane bekommen, keine Frage - niemand sonst hätte gewußt, wie man das arme Mädchen retten konnte. Also mußte es etwas geben, das Zane zu Jenny hinzog, und auch zu Jennys Mutter, aber worin konnte dies bestehen?
Merrick begann das ganze Ausmaß der Folgen von Zanes Hilfeleistung zu erahnen. Jenny würde das Krankenhaus ver lassen dürfen. Wenn er Zane vergrub, hatte sie niemanden mehr, der sie nährte, und würde sich selber nähren müssen. Wußte sie, daß es der Genuß von Blut war, der sie gerettet hatte? Falls ja, hatte sie keine andere Wahl, als mit dem Töten anzufangen.
Und dann muß ich sie jagen und sie in das Gewölbe brin gen.
Merrick stöhnte, so übel war ihm. Alles in ihm rebellierte gegen den Gedanken, das junge Mädchen einzufangen, das er lieben gelernt hatte, und sie dann in die dunklen Wälder zu bringen, während sie schrie. Wenn er sie hinter einer der stählernen Türen einschließen müßte, würde es ihm das Herz bre chen.
Ich werde ihr helfen, dachte er verzweifelt; ich werde sie lehren, daß sie nicht zu töten braucht. Wie du es Zane gelehrt hast?
Das schreckliche Gefühl, in der Falle zu sitzen, überkam ihn. Verdammt sollst du sein, Zane.
Merrick stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Hospitals ab und eilte die Treppen hinauf zur Station Ost-Drei. Als er durch die hämatologische Abteilung zu Jennys Raum ging, versuchte er, alle Furcht um Jennys Zukunft aus seinen Gedanken zu tilgen. Mit diesen Fragen würde er sich ausein andersetzen, wenn die Zeit dafür gekommen war.
An Jennys Tür erstarrte Merrick zu Eis, als er Zane hinter Jennys Eltern stehen sah. Zanes Augen weiteten sich vor Schreck und Überraschung.
Er trat ganz nahe hinter James Hrluska. Merrick nickte zum Zeichen, daß er die Drohung verstanden hatte.
Zane deutete auf Merrick und wies mit dem Finger zur Tür. Verschwinde.
Merricks Herz sank. Seine Intuition, daß Zane sehr viel mehr wollte, als Jenny nur das erste Blut zu geben, war richtig gewesen. Er wollte Jenny haben. Aber warum?
Plötzlich begriff Merrick die Vehemenz von Zanes Geste, den wilden, beschützenden Blick in seinen Augen. Konnte Jenny seine Tochter sein?
Überrascht blickte Merrick von Jennys Gesicht in Zanes Gesicht und wieder zurück. Sieh ihre Augen, die Linie ihres Kiefers. Sie konnte seine Tochter sein! Zane war vor zwölf Jah ren hier in Washington gewesen, und Jenny war gerade zwölf geworden. Sprachlos starrte Merrick Zane an. War das der Grund, warum Ann Hrluska, die er so schön in sein Skizzenbuch gezeichnet hatte, noch am Leben war? Nein! Zane tötet Frauen, er schläft nicht mit ihnen. Merrick kam sich vor wie vom Donner gerührt, unfähig, sich zu bewegen. Er hatte nie viele Gedanken an das Sexual leben seines Sohnes verschwendet. Aber er wußte, daß keines
von Zanes Opfern, die er gesehen hatte, vergewaltigt worden war. Zane war ein heimtückisches Raubtier, aber er war kein Sexualpsychopath.
Was bedeutete, daß er andere Wege zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gefunden hatte.
Jenny war seine Tochter - Merrick wußte es mit plötzlicher, bedrohlicher Gewißheit.
Und meine Enkelin!
Er fühlte einen plötzlichen würgenden Druck in der Kehle und starrte seinen Sohn an. Es gab so vieles zu sagen, aber kei ner von ihnen konnte sprechen, ohne sich vor Jenny und ihren Eltern zu offenbaren. Da stehen wir nun also hier wie Gabriel und Luzifer, unsichtbare Engel des Lichts und der Dunkel heit, und ringen um das Leben von drei Sterblichen.
Nein - zwei Sterblichen und einer neu erschaffenen Unsterblichen.
Merrick wußte, er sollte die Augen nicht von Zane wenden, aber er konnte nichts dagegen tun. Er blickte auf Jenny hinunter und spürte, wie ihm das Herz schwer wurde. Mein! dachte er. Sie sah wunderschön aus. Sie saß aufrecht im Bett - etwas, wozu sie seit Wochen nicht mehr fähig gewesen war - und unterhielt sich glücklich mit ihren Eltern. Ihre Stimme war kräftig, ihr lebhaftes Gesicht rosig überhaucht. Obwohl er wußte, woran es lag, konnte Merrick seine Freude nicht unter
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