Sohn Der Nacht
bedeutete. Sie ist bereits in Gefahr, dachte Merrick bekümmert. Ich muß sie beschützen.
Aus den Augenwinkeln sah Merrick, wie eine Frau in einem Trenchcoat aus dem Zeitungswagen ausstieg und auf ihn zueilte.
»Oh - oh«, sagte Katie.
»Katie«, sagte er rasch, »wenn wir hier mit allem durch
sind, würde ich gern mit zu dir nach Haus kommen. Ich möchte die Nacht mit dir verbringen.« Sie blickte ihn lange an. »Okay«, sagte sie.
»Merrick, welch freudige Überraschung.« Katies Mutter öff nete die Wohnungstür und lächelte liebenswürdig.
»Hallo, Audrey.« Auch er freute sich, sie zu sehen. Nun hatte er die alte Dame in den letzten Monaten sehr viel öfter gesehen als Katie - jedesmal, wenn er Gregory besucht hatte. Er wußte ihre Freundlichkeit zu schätzen und fand sie ganz ungewöhnlich verständnisvoll. Nicht nur hielt sie ihm seinen Bruch mit ihrer Tochter nicht vor, er war sicher, daß sie sich wünschte, er und Katie würden wieder zusammenkommen, wenn sie auch viel zu taktvoll war, das offen auszusprechen. Wenn er über Nacht blieb, würde er ihre Hoffnungen wecken, aber es gab keine andere Möglichkeit. Er mußte einfach die Gewißheit haben, daß Katie vor Zane sicher war.
»Ich bin gleich zurück«, sagte Katie. »Ich will nur noch eine Minute nach Gregory sehen.«
»Ich gehe mit dir«, sagte Merrick.
Katie blickte überrascht und dann zufrieden drein. Sie nickte. Als er hinter ihr her die Treppe hinaufging, hörte er Audrey summen, während sie sich in der Küche zu schaffen machte.
Was mache ich da? Nur diese eine Nacht, dachte er.
Gregory schlief auf dem Bauch, die Wange auf die Matratze gedrückt. Die Decken hatte er weggestrampelt. Vier seiner fünf Lieblingskuscheltierchen waren wie Wachposten um ihn herum aufgebaut. Der Anblick seines schmalen Rückens, wie er sich beim Atmen im süßen, ersten Schlaf rhythmisch bewegte, rührte Merrick. Er hätte den Kleinen so gern aufgenommen und ihn gedrückt. Plötzlich war das Bild Zanes in diesem Alter wieder präsent, wie Zane in einer Wiege gelegen hatte, diesem Kind hier gar nicht so unähnlich.
Er erinnerte sich wieder an Zane als Kind, ein sonniges Kerl chen, das immer lachte; Zane im Alter von zwölf, als er an der Blutsauger-Leukämie zu sterben drohte. Wie naiv ich doch war, dachte Merrick. Ich habe ihm das Blut gegeben, ohne auch nur darüber nachzudenken. Ich war so zuversichtlich, ich könnte ihm ebenfalls die Weisheit und die Stärke geben, die er brauchte, um gegen das anzukämpfen, was er gewor den war.
Ich habe versucht, ihm ein Beispiel zu sein, ihm zu zeigen, daß man damit leben kann. Für mich hat das niemand getan, und doch bin ich fähig, dem Gen zu widerstehen.
Er dachte an seinen eigenen Vater, einen freundlichen, warmherzigen Mann, einen Normalen, der keine Ahnung davon gehabt haben konnte, was sein Sohn einst werden würde. Ein Stückchen Erinnerung an eine Kathedrale im Süden von Wessex brach in ihm los. Ein düsterer Ort mit Fackeln, die an den Wänden flackerten, mit Stroh auf dem Boden, Vieh, das hereinkam, ständigem Trubel. Dort stand er zwischen seinen Eltern und hielt sie bei den Händen, wäh rend der Priester seine Messe las; einfach nur ein Junge, der weiter nichts wollte, als ein Heiler und Dorfarzt zu werden, genau wie sein Vater. Irgendwie hatten ihm seine Eltern, ohne überhaupt von dem dunklen Dämon zu wissen, der tief in ihm schlief, die Kraft gegeben, diesen Dämon zu bekämpfen, als er erwachte.
Und irgendwie hatte er es nicht geschafft, Zane dieselbe Stärke mitzugeben. Habe ich ihn nicht genug geliebt? fragte Merrick sich. Das kann nicht sein. Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt. Hatte der Tod seiner Mutter irgend etwas damit zu tun? Erlina war wundervoll... aber Zane hatte elf gute Jahre bei ihr - fast so viele, wie ich mit meiner Mutter hatte.
Als Merrick auf Gregory hinunterblickte, durchfuhr ihn tiefe Furcht. Was, wenn Gregory dieses Gen hatte? Könnte ich Sie einfach sterben lassen? Oder würde ich es riskieren, der Welt einen zweiten Zane zu geben? Seine Furcht wuchs mit jedem Augen blick und nistete sich in seinem Magen ein.
Er spürte Katies Berührung. Er nahm ihre Hand und drückte sie, schloß die Augen und holte ganz tief Luft, dann brachte er es irgendwie fertig, sie anzulächeln. Gregory bewegte sich und rollte auf die andere Seite, wobei er seine Schlafgefährten beiseite stieß, um fest nach dem zusammengerollten Laken zu greifen.
Katie schlich auf Zehenspitzen
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