Sohn Der Nacht
eine neue Identität aufzubauen. Zu diesem Zeitpunkt war er erst einige wenige Jahre Merrick Chapman gewesen, und er hatte beschlossen, seine Zeugnisse als Detective der Mordkommission von San Francisco zu nutzen, um hier direkt in die Polizeitruppe von Washington einzutreten. Nachdem Zane davongerannt war, hätte er vielleicht irgendwo anders neu beginnen können. Aber diese totale Zerstörung seines Lebens war genau das, was Zane immer gewollt hatte, und weil er ihm seinen Wunsch nicht erfüllen wollte, war er geblieben. Jetzt war er seit fast zwanzig Jahren Merrick Chapman, und er hatte keine andere Wahl mehr. Wenn Katie bei ihm bleiben wollte, mußte
sie ihr ganzes Leben entwurzeln, alle Freunde verlassen und ihre medizinische Karriere aufgeben, um woanders neu zu beginnen, wo man keinen von ihnen kannte. Und in einigen wenigen Jahren würde sie dasselbe wieder tun müssen. Wie der und wieder wäre sie gezwungen, die Umwälzungen zu erdulden, die seine erzwungenen Wanderschaften mit sich brachten. Konnte sie es schaffen, Jahr für Jahr jeden Fehler zu vermeiden, der ihn bloßstellen würde? Vielleicht konnte sie es.
Und Gregory? Früher oder später müßte man es ihm sagen. Ich habe bereits einmal in dem Versuch versagt, die Loyalität eines Sohnes zu gewinnen, dachte Merrick bitter.
Aber am meisten Sorgen bereitete ihm Katie. Wenn sie sich selbst wieder und immer wieder entwurzelte, würde sich die Frau, die sie im Spiegel sah, über die Jahre verändern. Katie würde ihr alterndes Bild im Spiegel hassen lernen. Sie würde befürchten, daß ihr jugendlich aussehender Ehemann sie nicht länger attraktiv fand, sie würde sich beklagen, daß sie nicht mit ihm und für ihn jung bleiben konnte. Für sie würde es keinen Ausweg geben. Früher war er in der Lage gewesen, den anderen eine Ausflucht zu geben. Denn sie wußten nicht, was er war, für sie konnte er >sterben<. Er hatte in Kämpfe gegen die Normannen oder die Wikinger oder Napoleon zie hen können, ohne zurückzukehren, oder er war in Friedens zeiten zur Jagd in die Wildnis aufgebrochen und verschollen. Später kam die leere Pierce Arrow mit einem gebrochenen Geländer auf der Brücke den Fluß hinuntergeschwommen, das kieloben treibende Boot im Ozean.
Merrick spürte ein scharfes Verlangen. Wenn er alt werden und mit Katie zusammen sterben könnte, er wäre der glück lichste aller lebenden Männer. Aber das konnte er nicht, und daher hätte er das alles gar nicht erst beginnen lassen dürfen. Nach dem Schmerz, Alexandra und George verlassen zu müssen, hatte er geschworen, sich nie wieder zu verlieben - und sich vor allem von solchen Frauen fernzuhalten, die Kin der haben wollten. Solange Alexandra noch gelebt hatte, hatte
er keine Schwierigkeiten gehabt, diesen Schwur zu halten. Dann, ein paar Jahre, nachdem Alexandra gestorben war, hatte er Katie kennengelernt...
Mühsam riß Merrick sich aus der Vergangenheit, an der er ja doch nichts mehr ändern konnte. Wichtig war jetzt, daß Zane in der Offensive war. Der Mord von heute nacht würde in den Zeitungen erscheinen und den Druck auf die Polizei erhöhen. Captain Rourke würde ihm morgen früh als erster im Nacken sitzen.
Wenn er nur Zanes Zuhause, seine Basis, finden könnte ...
Ich werde Sandeman wieder besuchen, beschloß Merrick. Er könnte die eine oder andere gute Theorie haben, wo Zane sich aufhalten könnte ...
Am hinteren Fenster des Schlafzimmers hörte Merrick ein Geräusch, sehr fein, aber schaurig vertraut: das rieselnde Geräusch zerbröckelten Mörtels. Die Haare stellten sich ihm im Nacken auf, und sein Herz begann zu schlagen. Wie oft hatte er nicht genau dieses Geräusch selbst verursacht? Das Fenster befand sich zwei Stockwerke über dem Boden; drau ßen gab es überhaupt nichts für einen Mann - einen normalen Mann -, woran er sich festhalten könnte.
Merrick löste sich von Katie und glitt aus dem Bett, wobei er jede seiner Bewegungen entspannt und natürlich erschei nen ließ. Er streckte sich und blickte dann zum Fenster. Durch einen Spalt in den Gardinen sah er ein Auge hereinblicken. Im nächsten Augenblick war das Auge verschwunden, gefolgt von einem dumpfen Geräusch weiter unten.
Wutentbrannt eilte Merrick zum Fenster. Als er die Vor hänge beiseite gezogen hatte, um nach draußen zu blicken, war Zane verschwunden.
Merrick starrte in die Nacht hinaus, und seine Wut wandte sich nach innen und wollte ihn verbrennen. Wie dumm bin ich doch gewesen! dachte er. Ich
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