Sohn Der Nacht
nahm. Der Mann ver wandte viel Sorgfalt auf seine Garderobe, vielleicht um seine Unansehnlichkeit zu kompensieren. Heute morgen trug er Hemd und Krawatte aus reiner Seide und eine schwarze Hose mit Bügelfalten, die zu einem Anzug aus der Saville Row gehörte. Die Hosenträger - schwarz, rot und grün mit einem raffinierten Motiv, das Merrick sofort als aus dem siebzehnten Jahrhundert und von den Massai stammend erkannte - hatten ihn womöglich um zwei Jahrhunderte zurückversetzt. Zum Glück verwandte White auf seine Arbeit ebensoviel Sorgfalt wie auf seine Kleidung, was bedeutete, daß er mit allen Gerüchten aus dem Bereitschaftsraum vertraut war.
»Wollen Sie, daß ich Sie frage?« sagte Merrick.
White blickte zum Büro des Captains hinüber. Merrick sah, daß die Tür geschlossen war. »Okay. Also, wer ist da drin?«
»Detective Emerson Cooke, der dienstälteste Lieutenant im hiesigen Bezirk.« White genoß jedes einzelne Wort.
»Hm.« Merrick erfaßte die Situation auf der Stelle.
»Ja, ja«, sagte Des. »Jetzt, nachdem Dir Killer es geschafft hat, in die Zeitungen zu kommen, küßt Cooke dem Captain ohne Zweifel auch noch die Füße in der Hoffnung, Ihnen den Fall zu stehlen. Ich persönlich bete ja, daß es ihm nicht gelingt. Als ich das letzte Mal mit Cooke arbeiten mußte, hat dieser Hundesohn mich mitten im Winter acht Nächte hintereinan der in den Außendienst gescheucht. Angeblich war ich von allen im Dunkeln am schwersten zu sehen.«
»Dann sollten Sie aufhören, so dunkle Sachen zu tragen.«
»Ich glaube, er hat sich dabei in seiner charmanten Art mehr auf meine afrikanische Herkunft bezogen. Ich kann Ihnen nur sagen, Merrick, wenn ich wieder mal Cooke zuge teilt werde, muß ich ihn umbringen. Und dann stecken sie mich ins Gefängnis.«
Merrick rang sich ein Lächeln ab. »Keine Angst. Das ist mein Fall.«
White blickte zweifelnd drein.
Merrick schaute sich um und sah, daß Reggie Didier und Don Roach in seine Richtung blickten. »Mein Büro!« rief er. »Sobald ich mit dem Captain fertig, bin. Und ich hoffe in eurem Interesse, Ihr habt einen Wagen ausfindig gemacht, der nichts an der Kirche da zu suchen hatte.«
Die beiden schwangen herum zu ihren Computerbild schirmen und griffen nach den Telefonhörern. White be dachte ihn mit einem bewundernden Blick. »Hat man Ihnen das in der Lieutenant-Schule beigebracht?«
»Es gibt keine Lieutenant-Schule, Desmond.«
»Leider, so'n Mist. Wenn es eine gäbe, hätten sie Cooke längst rausgeschmissen.« White blickte wieder zur Tür des Captains hinüber. »Sind Sie sicher, daß Sie da reinwollen, Mann? Rourke kam hier rein mit der Post und der Times unter dem Arm und einem Gesicht, das einen Bullen hätte umlegen können. Wir haben rund um die Kirche keine Autos finden können, und wir haben noch kaum angefangen, die Anwoh ner unter die Lupe zu nehmen, und deshalb haben wir auch kaum etwas zu erzählen. Falls Reggie oder Don irgend etwas Neues haben, kann ich es Ihnen zufunken. Wäre vielleicht besser, wenn Sie heute morgen auf demselben Weg wieder verschwinden, auf dem Sie hergekommen sind. Ich werde Rourke dann erzählen, Sie hätten uns bereits instruiert und seien schon raus auf die Straße. Wenn Sie noch vor Ihren Leu ten draußen sind, könnte ihn das beeindrucken und einen
guten Kontrast zu Cookes Süßholzraspeln ergeben.« White machte laute Kußgeräusche.
»Vielen Dank für den guten Rat«, sagte Merrick.
»Aber Sie werden ihn nicht annehmen. So ist das nun mal mit den kostenlosen Ratschlägen. Ich denke, ich werde sie mir demnächst honorieren lassen.«
Die Tür des Captains öffnete sich, und Cooke kam rück wärts heraus, wobei er weiter mit Rourke redete. Merrick sorgte dafür, daß er direkt hinter ihm stand, als er sich umwandte. Ein Ausdruck, in dem so etwas wie Schuldbewuss tsein mitschwang, erschien auf Cookes schmalem Gesicht, und dann lächelte er.
»Chapman. Reichlich Pech mit dem neuen Mord.«
»Darum geht's nicht. Wichtig ist, was er tut.«
»Allerdings. Das ist wohl ein ziemlich Perverser, mit dem wir es hier zu tun haben.«
Merrick nahm das >Wir< kommentarlos zur Kenntnis. In dem Bewußtsein, daß er der dienstälteste Lieutenant hier war, tat Cooke stets so, als gehöre ihm jeder der hier behandelten Fälle und als sei er befugt, gute Ratschläge zu geben, wann immer ihm danach war. Mit seinem streng zurückgekämmten grauen Haar und seinem verkniffenen, von Akne zerfressenen Gesicht sah er aus wie ein
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