Sokops Rache
schneller in die Pedale, schließt zu Ellen auf.
»Sag mal, ist diese Oldenburg eigentlich verheiratet?«
Sie lacht herzhaft, legt den Kopf für einen Moment in den Nacken und sieht mit ihren von der Anstrengung geröteten Wangen jung wie ein Teenager aus.
»Wusste ich es doch, dass dich der Knabe noch immer beschäftigt. Wenn du so weitermachst, werde ich eifersüchtig.« Sie weicht einem Schlagloch auf dem nicht eben breiten Fahrradweg aus und ihre Lenker kommen sich bedrohlich nahe. »So weit ich weiß, ist sie eine richtige High-Society-Tussi. Schön, reich, anspruchsvoll. Und ledig, um deine Frage zu beantworten. Es gab da mal ein Gerücht, sie sei mit einem unserer Lokalpolitiker liiert. Aber sie kommt zu offiziellen Anlässen immer allein. Der Politiker, so weit ich es mitbekommen habe, übrigens auch. Ich habe schon vermutet, sie wäre lesbisch. Aber das hat sich ja vorhin als falsch erwiesen. Vielleicht ist sie für Männer ihres Kalibers zu eigenständig, zu wenig Weibchen – zumindest vom Wesen her. Äußerlich ist sie ja durchaus ein Playmate.« Sie wirft ihm einen Blick zu. »Wie fandest du sie denn?«
Er grunzt. »Mach dich nicht lächerlich, Ellen. Wenn etwas nicht mein Typ ist, dann sind das verwöhnte blonde Gazellen. Das solltest du nun wirklich kapiert haben. Obwohl – ihre Yacht, die könnte mir schon gefallen.«
Seine Frau ignoriert die Stichelei. »Glaubst du, dein Klient benutzt die Oldenburg als Geldquelle? Die sahen beide so ernsthaft verliebt aus, ihre Umarmung so echt. Ach, ich weiß nicht. Aufgrund eines so kurzen Eindrucks kann man das wohl nicht wirklich beurteilen.« Sie überlegt eine Weile. »Doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass er es ehrlich mit ihr meint.«
Weller nimmt sich vor, Henry in ihrer nächsten gemeinsamen Stunde auf den Zahn zu fühlen, ihn mit seinem Wissen um die Identität seiner großen Liebe zu konfrontieren. Er ist gespannt auf die Reaktion. Möglicherweise ist Henry gerade die Tatsache, dass sie vermögend ist, unangenehm, da er sich nicht dem Vorwurf der Protektion oder des Schnorrertums aussetzen will.
»Und was sagt dein Bauchgefühl noch so?«
Sie überlegt lange; sie sind schon vom Kreisverkehr in den Hohen Damm eingebogen, als sie, von der Fahrt leicht atemlos, antwortet. »Ich finde ihn attraktiv. Es strahlt etwas Kluges aus, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle; und es geht auch etwas Gehetztes, Getriebenes von ihm aus. Das lässt Beschützerinstinkte ihm gegenüber erwachen. Dann scheint er vorsichtig, zartfühlend zu sein. Wie er sie da einfach umarmt hielt, ihr nicht die Pobacken knetete oder mit den Händen unter den Pullover fuhr – das wirkte echt und nicht nur der Etikette geschuldet.« Sie lässt das Rad rollen, als es ein wenig bergab geht. »Ich kann gut nachvollziehen, was dich an ihm interessiert. Er wirkt, als wäre am Grund des tiefen Brunnens seines Bewusstseins ein Schatz versteckt. Wahrscheinlich empfindet die Oldenburg es ähnlich. Denn einen generellen Hang zum Prekariat und gesellschaftlichen Außenseitern würde ich ihr nicht nachsagen.«
»Nun, vielleicht gibt es ja in diesem Fall ein Happy End. Zumal die Rückfallprognose bei Mord ja in der Regel gut ist.«
Sie wirft ihm einen fragenden Blick zu. Er grinst.
»Na, das Objekt ist ja nicht mehr vorhanden.«
* * *
»Henry.«
»Herr Oldenburg.«
Nicoles Vater streckt ihm die Hand entgegen, als Henry Sokop an Bord der Niobe klettert. Er stellt die Leinentasche mit der in ein Handtuch gewickelten Sig Sauer an Deck ab, lässt sich von Oldenburg umarmen, atmet Fahrenheit und versucht, ruhig zu bleiben.
Das Morgengrauen lässt die Dunkelheit zerfließen. Wismar wischt sich den Schlaf aus den Augen. Auf den anderen Booten am Brunkowkai rührt sich noch kaum etwas; nur wenige Skipper machen bereits zum Auslaufen klar. Auf einer Yacht frühstückt ein älteres Paar – trotz des frischen Windes – an Deck, an einem der Stege in der Mitte des Hafenbeckens schrubbt jemand die Decksplanken seines Bootes. Die Niobe liegt an ihrem Stammplatz am vorletzten Landsteg, gleich neben den am letzten Steg vertäuten Polizeibooten. Bernhard Oldenburg hat den bestbewachtesten Liegeplatz der Stadt. Die Sonne steht knapp über dem Horizont; Henry blinzelt über das krisselige Hafenwasser. Es ist wolkig, aber nicht kalt. Die Stunde seiner Rache ist da. Als Oldenburg ihn vor drei Tagen zu sich ins heimische Arbeitszimmer rief, hat er es entschieden.
»Wir müssen einmal
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