Sokops Rache
einem Bier an einem der Stände beschließen sie, dass sie nun ihren Wismarer Bürgerpflichten mit dem Besuch der Hafentage Genüge getan haben. Zum Glück für seine Frau käme es Weller nie in den Sinn, sich wie so manche andere Freizeitskipper an Bord seines Bootes all den Sehleuten zu präsentieren. Sein diesbezüglicher Exhibitionismus hält sich in engen Grenzen.
»Mir ist kalt, Weller. Lass uns nach Hause fahren. Wir werfen den Grill an, futtern etwas und genießen die Ruhe bei uns in Fischkaten.« Sie sieht ihn an und merkt, dass er keines ihrer Worte gehört hat. Die Stirn gekräuselt, starrt er hinüber zu den großen Yachten, die am Anlegesteg beim Hafenamt liegen.
»Ach, schau an. Die Ellen ist dir wohl nicht mehr gut genug. Du schaust dich nach Ersatz um?« Er hat sein Boot nach ihr benannt, was sie gleichermaßen ein wenig albern findet und freut. Irritiert wendet er ihr seinen Blick zu.
»Was hast du gesagt?«
»Gaff ruhig weiter. Es ist ja heute der allgemeine Gafftag hier am Hafen. Aber vielleicht setzt du mich mal darüber ins Bild, was dich da so brennend interessiert.«
Er lacht und drückt sie an sich.
»Immer nur du, mein Schatz. Das weißt du doch.« Er wird ernst. »Aber das da hinten, auf der großen Slup, das ist der liebe H., mein Vatermörder.«
Sie schaut ebenfalls hinüber, weiß sofort, obwohl sie keine Ahnung davon hat, was eine Slup ist, welches Boot er meint. Auf dem Deck am Ende eines der drei dort vertäuten großen Segler steht, unübersehbar auch aus dieser Entfernung, ein weiß gekleidetes Paar in enger, selbstvergessener Umarmung. Ellen meint, die Funken, die zwischen den beiden fliegen, zu spüren. Er, ein hagerer Grauhaariger mit schwarz gerahmter Brille, sie, eine große langhaarige Blonde. Ein eindrucksvolles Paar. Sie meint, etwas an den beiden käme ihr bekannt vor.
»Na los, wir müssen sowieso dort entlang, wenn wir zu unseren Rädern wollen.« Sie zieht Weller am Ärmel.
»Warte.« Er kommt sich vor wie ein Spanner, doch dies ist seine Chance, etwas über die große Liebe, von der Henry ihm andeutungsweise und voll von grüblerischem Pessimismus erzählt hat, zu erfahren, vielleicht einen Zugang zu Henry Sokops Gefühlswelt zu bekommen. Er fasst seine Frau um die Taille, küsst sie auf den Mund und streichelt ihren Nacken unter den hochgesteckten Haaren. »Frau Weller, ganz der Ihre, wenn Sie mir noch eine Sekunde der Observation lassen.«
Ellen schmiegt sich an ihn und er dreht sich, mit ihr in den Armen so, dass er seinen Klienten unauffällig im Blick hat. Sie stehen, wie ein Spiegelbild des anderen Paares dort drüben, am Rand des Hafenbeckens. Der Passantenstrom zieht schnatternd und lachend an ihnen vorbei und der Wind zaust Wellers Pferdeschwanz.
»Weller, ich kenne die Frau.«
Er dreht sich mit ihr im Arm abrupt herum, so dass nun sie die Yacht im Blick hat. »Wer ist sie?«
»Das ist Nicole Oldenburg, die Architektin. Sie ist im Trägerverein der Galerie Hinter dem Rathaus .« Sie schaut ihrem Mann über die Schulter, prüft ihr Urteil, nickt. »Klar, das ist sie. Sag mal, waren die beiden nicht neulich in der Galerie Kunststoff ? Na klar, mit ihm hab ich mich doch über Rauchverbote unterhalten. Das ist ja ein Ding.«
»Wieso?«
»Na, die Frau da drüben ist bestimmt ’ne Million schwer. Ihr Vater ist der Bauunternehmer Oldenburg. Weshalb gibt die sich mit einem von deinen Knackis ab?«
Einen Moment lang schwankt Weller, will am liebsten ein zufälliges Zusammentreffen mit den beiden da drüben fingieren, ihnen über den Steg entgegengehen, ganz der schlendernde Hafentagsbesucher. Dann besinnt er sich, widersteht diesem Impuls. Der Klient bestimmt das Tempo. Wenn Henry ihn nicht einweiht in das, was ihn beschäftigt, ist das völlig in Ordnung. Weller ist nicht sein Therapeut und auch nicht sein Freund, selbst wenn er das möglicherweise gerne wäre. Er kämpft gegen das irrationale Gefühl der Enttäuschung an. Doch er wird das Privatleben Henrys respektieren.
Während sie ihre Fahrräder die schier unendlich lange Poeler Straße entlanglenken, dabei gegen die steife Brise aus Nordwest anstrampeln, kehren seine Gedanken immer wieder zu seinem Klienten zurück. Welchen Grund kann es für Henry geben, seine Verliebtheit, die ja anscheinend auf Gegenliebe stößt, nicht zu genießen, sondern unter ihr zu leiden? Zumal die Frau für ihn in finanzieller Hinsicht so etwas wie einen Sechser im Lotto darstellt. Er tritt
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