Sokops Rache
miteinander reden – von Mann zu Mann«, hat der andere gemeint. »Sie sind nun schon eine Weile mit Nicole zusammen und sie hält große Stücke auf Sie. Ich hoffe, Sie wissen das.«
Er hat genickt und einen zugleich bescheidenen und stolzen Ausdruck auf sein Gesicht gezaubert.
»Aber nicht jetzt, ich habe zu tun.« Oldenburg hat wichtigtuerisch in seinem Tischkalender geblättert. »Sie kommen am Sonntagmorgen auf die Niobe , dann machen wir einen schönen Törn zusammen. Sagen wir, so um sechs.« Das war weder Frage noch Aufforderung, sondern ein Befehl. Natürlich hat Henry zugestimmt.
Jetzt fabriziert der Mörder seines Vaters eine Reihe von Geräuschen, sein Brustkorb erbebt unter diesen Glucksern, die Vergnügen signalisieren mögen oder eine Fehlfunktion des Zwerchfells. Henry widersteht dem Bedürfnis, sich zu schütteln, sich von dem Gefühl, das Oldenburgs Hände auf seinen Oberarmen hinterlassen haben, zu befreien.
»Willkommen an Bord.« Ein paar Sekunden lang mustern sich die beiden Männer, als sähen sie sich zum ersten Mal. Neugier, Konkurrenz, Misstrauen schwingen zwischen ihnen wie straff gespannte Stahlseile. Der Moment geht vorbei und Oldenburg ergreift das Wort.
»An Bord sagt man du. Und da du ja nun quasi zur Familie gehörst – Bernhard.«
»Henry.«
Eine Weile stehen sie unbeholfen herum, der Wind zerrt an ihrer Kleidung, bis Oldenburg einen Rundgang über das Schiff ankündigt. »Stell die Tasche unter Deck. Sag bloß nicht, du hast etwas zu essen mitgebracht? Das haben wir nämlich alles an Bord.« Er steigt vor Henry die Stufen hinab und stolziert in die erstaunlich geräumige Kabine. Henry hält die blaue Leinentasche unter dem Arm geklemmt, spürt durch den Stoff hindurch die Waffe.
»Nein, nein. Nur ein wenig Lesestoff und Klamotten, falls ich nass werde.« Er denkt an seine Tolstoilektüre. Alles verstehen heißt alles verzeihen , schreibt der in Krieg und Frieden . Warum fällt ihm das gerade jetzt ein?
Zwanzig Minuten später verlassen sie das Hafenbecken. Der Motor der Niobe brummt, Oldenburg steht mit weißer Kapitänsmütze am Steuerruder. Henry verstaut die Fender, wie der andere ihn angewiesen hat, in den Kästen im Achterdeck. Sie fahren am schwarzen Rumpf eines Containerschiffes vorbei, hinter dem die blau-gelben Kräne auf dem Kai aufragen, und passieren die hochhausgroßen Backsteinsilos. Als sie den Überseehafen verlassen, liegt das Meer leicht dunstig vor ihnen, doch nach Regen sieht es nicht aus. Die Wismarbucht ist zu so früher Sonntagsstunde noch kaum befahren. Henry hockt auf einer der Bänke im Heck, beobachtet seinen Feind, dessen rot geädertes, bärtiges Gesicht, die fleischigen Hände, die das schmale Aluminiumsteuerrad umfassen, seinen plumpen Körper. Kaum zu glauben, dass dieser Kerl eine Schönheit wie Nicole gezeugt hat. Henry konzentriert sich auf das, was er vorhat. Ein wirres Gefühl aus Hass, Ungeduld und Verzweiflung schwillt in ihm an, macht ihm das Atmen schwer. Er wird Oldenburg töten. Seit drei Tagen hat er über das Wie nachgedacht. Der Bauunternehmer ist ein schlechter Schwimmer, hat er von Nicole erfahren. Dieser Segeltörn bietet die Chance, alles wie einen Unfall aussehen zu lassen. Das Wasser der Ostsee hat jetzt im Juni um die zehn Grad. Selbst ein trainierter Schwimmer überlebt diese Temperatur keine halbe Stunde, hat ihm die Wundermaschine Internet verraten. Er denkt an die Waffe in seiner Tasche unter Deck. Die Pistole wird er nur im Notfall benutzen, sie Oldenburg über den Schädel schlagen, vielleicht. Schießen wird er nur, wenn es nicht anders geht. Denn es ist ihm längst nicht mehr gleichgültig, ob er nach der Rache stirbt, wieder ins Gefängnis kommt oder ein freier Mann bleibt. Er will Nicole nicht verlieren, will auch nach dem Tod ihres Vaters ihr Vertrauen genießen, ihre Zuneigung. Die Sig Sauer dient ihm eher als Erinnerung daran, wie ernst es ihm ist.
»Wendorf.« Oldenburg deutet auf die baumbestandene Silhouette des Seebads. Henry nickt. Noch sind sie nicht weit genug vom Land entfernt. Ihm wird heiß unter seinen Kleidern und auf seiner Stirn spürt er kalten Schweiß. Er denkt daran, die Niobe allein in den Hafen zurückbringen zu müssen. Er hat Angst – davor und vor Oldenburg. Ihm ist klar, dass es vielleicht schiefgehen, alles vorbei sein kann. Er ballt die Fäuste, bis seine Fingernägel rote Kerben in die Handflächen schneiden. Sie setzen Segel, er befolgt Oldenburgs
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