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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lohmeyer
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lehnt sich weit zur anderen Bootsseite, blickt mit zusammengebissenen Zähnen über seine Schulter. Außer der  Niobe , die sich stetig weiter entfernt, ist kein anderes Schiff unterwegs. Das Meer ist leer. Er lacht laut auf, als ihm der Reim bewusst wird.  Jetzt nur nicht hysterisch werden.  Er muss einen klaren Kopf behalten; Nicole braucht seine Hilfe.
    Er zerrt erst das eine, dann das andere Bein Oldenburgs ins Boot, hockt sich an die Pinne und dreht am Gasgriff. Plötzlich merkt er, wie stark er zittert. Er wendet und hält auf die Yacht zu. Das kleine Boot durchschneidet mit kräftigem Tempo das Wasser.  Lass mich rechtzeitig kommen!  Er wirft einen Blick auf den Reglosen. Sonja muss ihn betäubt haben, vermutlich ist auch Nicole bewusstlos. Das weiße Heck kommt näher, der Schriftzug des Schiffsnamens wird lesbar. Noch immer ist niemand an Deck. Er drosselt das Gas, steuert parallel zur Bordwand der Yacht und stellt sich hin. Nun kann er die Reling packen. In letzter Sekunde denkt er an Oldenburg, schnappt sich die Festmacherleine und vertäut sie an der  Niobe .
    Dann ist er an Deck. Vorsichtig macht er einen Schritt vor den anderen, bewegt sich lauernd auf den Niedergang zu. Von unten hört er einen hohen, nervtötenden Singsang. Er atmet flach, lässt die Treppenöffnung nicht aus den Augen. Da taucht erst der Kopf mit den orangegefärbten Haaren, dann ein gebeugter Rücken auf den Stufen auf. Sonjas kleiner gedrungener Körper bewegt sich rückwärts und seltsam ruckartig aufwärts.
    Im Bruchteil einer Sekunde überwindet er den Schock, sie so nah vor sich zu sehen und macht einen schnellen Schritt auf sie zu. Sie zerrt an etwas Schwerem, redet unablässig vor sich hin. Unter ihr, auf den Stufen erkennt er einen blonden Schopf.  Nicole!
    Dann ist mit einem Mal alles tot, blass, pulverisiert unter der gigantischen Lautstärke, die ihn umspült.
    »Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Drosseln Sie die Geschwindigkeit und drehen sie längsseits!« Das Küstenstreifenboot  Hoben , das Henry aus dem Wismarer Hafen kennt, steuert auf sie zu, an Deck steht ein Uniformierter mit Megafon, dahinter – mit wildem Blick und gestikulierend – der Rotbärtige, dessen Boot er entwendet hat. Sonja lässt sich nicht beirren, scheinbar hört sie nichts außer ihrem eigenen Geplapper. Er versteht einzelne Wörter:  aus dem Weg geschafft … frei … liebst ihn nicht … kein Recht …
    »Sonja!« Sein Ruf hängt zwischen ihnen in der Luft, scheint die Zeit einzufrieren. Sie versteift sich, dreht sich aber nicht um, sondern zerrt weiter an dem schlaffen Körper.
    »Sonja!« Verzweifelt sucht Henry nach Worten, sie aus ihrer Raserei zu wecken, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. »Diese Frau da bedeutet mir doch gar nichts, zwischen uns ist es aus. Lass sie einfach liegen und komm.« Mit einem Sprung überwindet er die letzte Distanz zwischen ihnen, packt sie an den Schultern, reißt sie von Nicole fort, dreht sie zu sich um. Ihr Blick, der ihn trifft, ist furchtbar: fanatisch, seelenlos, jenseitig. Dazu lächelt ihr Mund mit dem absurd orangefarbenen Lippenstift, als wären sie bei einem Rendezvous. Seine Hände umschließen ihre Schultern mit hartem Griff. Er muss sich zurückhalten, sie nicht um ihren Hals zu legen und zuzudrücken. Aber er will sehen, wie es Nicole geht, was mit ihr ist. Er schiebt die Irre von sich fort. Ihr Körper wird schlaff, das runde Gesicht lächelt unbewegt, wie eingefroren.
    Da ziehen ihn grobe Hände zurück. Er protestiert. Jemand biegt seine Arme nach hinten
    »Machen Sie keinen Unsinn!«
    Handschellen schließen sich um seine Gelenke.
    * * *
    In Wismar ist der Kai jahrmarktsbunt. Blau-silberne Streifenwagen, ein grüner Polizeitransporter, leuchtendes Ambulanzorange, Schaulustige in gelben, roten und grünen Jacken, zu Fuß, auf Skateboards, auf blauen, roten, silbernen Fahrrädern, Erwachsene, Kinder, Hunde, blaue Mützen, weiße Mützen, helle Haare, dunkle Haare, Kinderkarren, Luftballons, silberne Kameras, die auf sie gerichtet werden – Henry Sokop wird schwindlig. Selbst der Himmel über der Stadt ist in Rot getaucht, wie ein zynischer Kommentar zu den Geschehnissen dieses Tages.
    Man führt ihn vom Deck der  Hoben  auf den Landungssteg, hinüber zu einem Streifenwagen, dessen ausgeschaltetes Blaulicht in der schräg stehenden Sonne funkelt. Auf dem Rücksitz, die Hände nun vor dem Bauch gefesselt, sitzt er allein, die Türen sind verschlossen, er sieht auf das

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