Solang die Welt noch schläft (German Edition)
ersten Seiten es um Joachim und Lieselotte Roths Erbe gegangen war. Josefine hatte nicht schlecht gestaunt, zu hören, welche Summen Frieda ihren Schwarzwälder Verwandten vererbte. So viel Geld hatte Frieda auf der Bank liegen gehabt? Die alte Freundin war immer so bescheiden gewesen und hatte sich an den kleinsten Dingen erfreuen können.
»In meinem letzten Brief hatte ich dir vollmundig angekündet, dass ich große Pläne für dich habe. Leider ist meine Zeit dafür zu früh abgelaufen … Nun liegt es an dir, deinem Leben selbst eine Wende zu verleihen. Erlaube mir jedoch, dir dabei zu helfen.« Der Notar hob vielsagend seine Brauen. Jo war es gleichgültig, was ihm im Kopf herumging. Sie lächelte wehmütig. Bei jedem Wort hatte sie Friedas Stimme im Ohr, so liebevoll … Was hatte Frieda mit ihr vor?
Die nächsten Worte des Notars beantworteten diese Frage.
»Dir, liebe Josefine, möchte ich mein Haus und die angebaute Werkstatt vererben. Beides weiß ich bei dir in den besten Händen. Ich bin schon wieder egoistisch, merkst du es? Aber in diesem Fall hat mein Egoismus etwas Gutes: Nun kannst du endlich deine Träume verwirklichen.«
»Eine fremde Frau soll das Haus meiner Tante erben?«, fuhr Joachim Roth auf. »Das … das … soll ihr Herzenswunsch gewesen sein? Ein Blödsinn ist das! Ist so was überhaupt vom Gesetz her erlaubt?« Aufgebracht beugte sich der Mann über den Schreibtisch.
Der Notar wich unangenehm berührt zurück. »Ich habe alles geprüft«, sagte er und hob in einer entschuldigenden Geste beide Hände.
»Aber … die alte Frau war doch allem Anschein nach nicht mehr bei Sinnen, als sie diesen Unsinn schrieb!«
Wie respektlos Lilos Vater von seiner Tante sprach. Josefine runzelte die Stirn. »Ich … es tut mir leid«, sagte sie lahm. Mehr fiel ihr nicht ein.
Sie und ein eigenes Haus! Friedas Haus. So fassungslos und glücklich sie bei dem Gedanken, es zu erben, auch war, so unwohl fühlte sie sich im selben Moment. Solch ein Reichtum stand ihr doch gar nicht zu. Sollte sie nicht besser verzichten? Joachim Roth anbieten, dass er das Haus haben könne? Er oder Lilo?
»Verzeihen Sie, Herr Roth, aber ich muss doch heftig widersprechen. Ihre Tante war sehr wohl bei klarem Verstand, als sie dieses Testament schrieb, denn sie tat es hier in meinen Räumen, und es waren zwei Menschen anwesend, die genau dies bezeugen können. Den Inhalt und die Wortwahl können wir allerdings nicht beeinflussen, und das wollen wir auch nicht. Es geht immerhin um den Letzten Willen eines Menschen.«
»Aber …«
»Ich verstehe Ihren Ärger. Dennoch kann ich Ihnen nur dazu raten, diesen Willen der Verstorbenen zu akzeptieren. Bedenken Sie, welch große Geldsummen Sie und Ihre Tochter geerbt haben, dagegen nimmt sich das alte kleine Wohnhaus doch sehr gering aus. Außerdem – ein Testament anzufechten, das so wasserdicht ist wie das von Frieda Koslowski, geht meist nicht gut für den Kläger aus.« Er bedachte den Schwarzwälder mit einem nachdrücklichen Blick, dann wandte er sich Josefine zu. »Ich habe noch etwas für Sie«, sagte er und zog aus der dicken Mappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, einen braunen Briefumschlag.
Der Umschlag wog gewichtig in Josefines Hand. Bitte erst lesen, wenn du in meinem – oder besser gesagt deinem – Haus angekommen bist , stand auf dem Umschlag. Unter Dutzenden hätte Josefine Friedas Handschrift erkannt.
»Mir wird allmählich einiges klar – die Berliner Mischpoke hält zusammen.« Abrupt stand Joachim Roth auf. »In diesem Fall habe ich hier wohl nichts mehr verloren.« Er warf einen feindseligen Blick auf Josefine. »Was für eine feine Art, sich für unsere Gastfreundschaft im Schwarzwald zu bedanken! Ich möchte nicht wissen, was du getan hast, um dich dermaßen bei Frieda einzuschleichen.« Ohne ein weiteres Wort verließ er das Notariat.
Betroffen schaute Josefine ihm hinterher.
»Machen Sie sich nichts daraus, junges Fräulein. In solchen Angelegenheiten kommt es oft zu noch viel unschöneren Szenen. Übrigens: Die Hausschlüssel wurden bei einer Clara Gropius hinterlegt. Eine Nachbarin. Sie würden sich gut kennen, versicherte mir Frau Koslowski«, sagte der Notar mit fragendem Unterton.
Josefine nickte.
»Da wäre noch etwas …« Er räusperte sich. »Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass eine junge Frau wie Sie ein solches Erbe antritt. Vielleicht möchten Sie gar nicht in besagtem Haus wohnen – es ist ja schon ein wenig
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