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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Abenteuer wichtiger ist, als hier mit deiner Familie reinen Tisch zu machen?«
    Wie ein Hund, der Prügel bekommen hatte, fuhr Adrian zusammen. Sogleich bereute Josefine ihre harschen Worte. »Verzeih, das war gemein von mir. Es steht mir nicht zu, so zu reden. Aber … das kommt nur davon, weil ich nicht will, dass du fortgehst!«, rief sie verzweifelt. »Ich habe Angst um dich. Was, wenn dir auf dieser Reise etwas passiert? Ohne dich … kann ich mir mein Leben gar nicht mehr vorstellen.«
    Adrian nahm sie in den Arm, und für einen langen Moment genossen sie nur die Wärme und die Nähe des anderen.
    »Dass ich überhaupt den Mut für diese Reise aufbringe, habe ich nur dir zu verdanken«, murmelte Adrian in ihr Haar. »Du hast mir gezeigt, wie wichtig es ist, den eigenen Weg zu gehen. Nicht immer nur darauf zu hören, was die anderen sagen, sondern der inneren Überzeugung zu folgen. Vielleicht würdest du an meiner Stelle anders handeln. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass ich diesen Weg, der mich bis nach Amerika führt, gehen muss. Es ist mein Weg«, schloss er.
    Josefine nickte. Was hätte sie dagegen auch sagen können?
    »Du weißt noch nicht alles«, fuhr Adrian fort. »Ich werde das Velo mitnehmen und in Hamburg ein Schiff nach New York besteigen. Von dort radele ich nach Boston zu Pope und seinen Fahrrädern. Wenn ich den Handel unter Dach und Fach habe, fahre ich an der Ostküste Amerikas entlang in den Süden und von dort wieder zurück nach New York. Das sind gut und gern dreitausend Kilometer.« Aufgeregt rutschte er auf der Bank nach vorn. »Verstehst du – mit dieser Aktion kann ich der ganzen Welt zeigen, dass das Fahrrad das beste Fortbewegungsmittel von allen ist! Stell dir mal vor, wie es meine späteren Kunden beeindrucken muss, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mit einem Fahrrad Tausende von Kilometern gefahren bin. Ein unschlagbares Verkaufsargument!« Er lachte triumphierend auf.
    »Und bis zum Herbst willst du zurück sein? Das schaffst du nie und nimmer!« Josefine riss sich aus seiner Umarmung los. »Bist du völlig verrückt geworden? Willst du dich jetzt auch noch diesem elenden Gigantismus hingeben, der anscheinend die ganze Radsportwelt überfällt? Immer schneller, immer weiter, immer länger! Hast du nicht den Artikel im Radfahrer gelesen, wo über den Mann berichtet wurde, der mit seinem Velo die Welt bereisen wollte und von Wegelagerern totgeschlagen wurde? Wegen ein paar Silbermünzen, heißt es! Amerika ist bestimmt gefährlich, und …« Auf der Suche nach Worten wedelte sie hektisch mit der rechten Hand in der Luft.
    »Keine Sorge, ich werde auf mich aufpassen. Gleich in New York werde ich mir einen Revolver kaufen, und dann verpasse ich jedem, der mir dumm kommt, eine Portion Blei«, sagte Adrian grinsend. Er wollte sie wieder an sich ziehen, doch Josefine wehrte ihn ab.
    »Ein Revolver? Soll mich das etwa beruhigen?«, fragte sie mit zitternder Stimme. Nur mit viel Beherrschung gelang es ihr, nicht loszuheulen. Sie zwang sich, tief durchzuatmen.
    »Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir eine gute Reise zu wünschen.« Sie lächelte traurig.
    »Ich werde jeden Tag an dich denken«, sagte er leise. »An dich und unsere gemeinsame Zukunft.«
    Seine Lippen waren weich. Weicher, als sie es sich vorgestellt hatte. Alle Gedanken an Amerika verdrängend, verlor sich Josefine in Adrians Armen.
    Alle hatten sich versammelt, um Adrian Anfang April eine gute Reise zu wünschen: die Mitglieder des 1. Berliner Velozipeden-Vereins und die des 1. Berliner Velovereins für Damen. Sie hatten eine große Fahne bestickt mit den Worten »Gute Fahrt, Adrian!«, die sie hin und her schwenkten. Sogar Adrians Familie war gekommen, um den Sohn zu verabschieden, wer fehlte, waren Moritz Herrenhus und seine Gattin. Eine Blaskapelle spielte einen strammen Marsch, jeder wollte Adrian noch einmal auf die Schulter klopfen, ihm die Hand schütteln oder einen guten Rat geben. Es herrschte eine festliche Stimmung, Aufbruch und Abenteuer lagen in der Luft, und es war dem einen oder anderen anzusehen, dass er sich Adrian am liebsten angeschlossen hätte.
    Adrian versprach, Postkarten zu schreiben von den verschiedenen Etappen seiner Reise, und ab und an einen Brief, falls die Umstände dies zuließen. So würden die Vereinskameraden seine Reise zumindest aus zweiter Hand miterleben können.
    Josefine stand ein wenig abseits auf dem Bahnsteig und betrachtete die Szenerie mit gemischten

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