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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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waren die imposanten Werkhallen, wo die Bürogebäude? Alles, was er sah, waren riesige Berge Bauschutt, dazwischen türmten sich kleinere Haufen aus verkohltem Metall und verschmorten Gummiwaren. Was war hier los? Erschüttert und zutiefst erschrocken schaute Adrian zu, wie Dutzende von Männern mit staubverschmierten Gesichtern und grimmigen Mienen die Berge von Bauschutt Schaufel für Schaufel abtrugen und auf Schubkarren luden. Diese schoben sie nach vorn an den Straßenrand, wo der Schutt auf unzählige Pferdefuhrwerke umgeladen wurde. Die Arbeit war schmutzig und mühsam, die Gesichter der Männer wirkten abgekämpft. Die Zugtiere mussten sich mächtig ins Zeug legen, um die Wagen mit der schweren Last überhaupt ins Rollen zu bringen. Es herrschte ein solch stetes Kommen und Gehen von Gespannen, dass der Mist, den die Pferde fallen ließen, die Straße knöchelhoch bedeckte.
    Nachdem sich Adrian einigermaßen von seinem Schrecken erholt hatte, hielt er den nächstbesten Mann an, der an ihm vorbeiging. Statt Arbeitskleidung trug er einen staubigen Anzug und ein Notizbuch in der Hand.
    »Excuse me, Sir, but … I wanted to visit the bike factory.«
    Der Mann schaute auf. »Sind Sie blind, Mann? Die Fahrradfabrik gibt es nicht mehr«, sagte er unfreundlich. »Das große Feuer am 12. März hat alles zerstört. Unsere Halle, Abertausende von halb und fertig montierten Rädern, unser Büro …« Er machte eine weit ausholende Handbewegung. »Alles ist verbrannt, bis auf die letzte Quittung und die letzte Kabelrolle. Es gibt nichts mehr, rein gar nichts.«
    Es hätte nicht viel gefehlt und Adrian wären Tränen in die Augen gestiegen. Dafür hatte er den weiten Weg über den Ozean auf sich genommen? Doch dann riss er sich zusammen. »Das tut mir leid. Es ist nur so …« Kurz schilderte er seine Lage und fragte dann nach anderen Fahrradfabriken in der Gegend.
    »Hier gibt es weit und breit niemanden mehr – Mister Pope hat immer dafür gesorgt, dass die Konkurrenz nicht überlebt. Good luck to you, Mister«, sagte der Mann höhnisch und ging mit seinem Notizbuch davon.
    Mit hängenden Schultern schob Adrian sein Rad wieder durch die Pfeiler. Er wollte gerade durch den Pferdemist waten, als sich jemand neben ihm laut räusperte.
    »Excuse me, Sir …«
    Unwirsch schaute Adrian auf.
    »Ich habe Ihr Gespräch mit angehört, als ich mit meinem Schubkarren vorbeigelaufen bin. Sie wollen Räder kaufen?«
    Adrian nickte. »Bei uns in Deutschland hieß es, dass hier Fahrräder sozusagen am laufenden Band und nicht in langwieriger Handarbeit hergestellt werden. Es hieß auch, die Pope-Räder seien unschlagbar im Preis. Und nun das!«
    »Ein Desaster! Wir waren wirklich die Schnellsten, Besten und Günstigsten. Ich bin, äh, war Ingenieur hier in der Fabrik. Wie es nun weitergeht, weiß allerdings nur der Himmel. Aber vielleicht reicht für Ihre Zwecke auch der zweitschnellste, zweitbeste und zweitgünstigste Fahrradproduzent Amerikas?«
    »Und wen … meinen Sie damit?« Adrian hielt die Luft an. Hatte der Wichtigtuer mit seinem Notizbuch ihn angelogen? Gab es doch noch eine zweite Firma hier in der Gegend?
    »Ursprünglich stamme ich aus Chicago. Dort habe ich ebenfalls in einer Fahrradfabrik gearbeitet. Bei den Western Wheel Works. Pope hat mich abgeworben. Hätte ich seinen Verlockungen nach mehr Lohn bloß widerstanden, dann stünde ich jetzt noch in Brot und Arbeit …« Der Mann seufzte. »Jedenfalls, die Crescent Bikes, die WWW, also die Firma Western Wheel Works herstellt, stehen den Pope-Rädern in nichts nach. Als ich die Firma verließ, lag die Produktion schon bei fünfzigtausend Rädern pro Jahr.«
    Adrian spürte, wie das kleine Pflänzchen Hoffnung in ihm wieder wuchs. »Western Wheel Works … Wissen Sie zufällig, zu welchen Preisen Ihr alter Arbeitgeber seine Crescent-Räder verkauft?«
    »Das kommt natürlich ganz darauf an, wie hoch Ihre Bestellung ist. Je mehr Räder, desto mehr Rabatt – so werden bei uns in Amerika Geschäfte gemacht! Aber durchschnittlich kostet ein Crescent Bike schätzungsweise …« Der Mann grinste und nannte eine Summe, die so niedrig war, dass Adrian einen Moment lang schwarz vor Augen wurde.
    »Chicago, sagten Sie?« Im Geiste versuchte er die Stadt auf der amerikanischen Landkarte einzuordnen. Lag sie nicht im Staat Illinois? Am unteren Ende eines riesengroßen Sees, des Lake Michigan? Oje, er würde einmal quer von Ost nach West fahren müssen …
    Und wennschon!

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