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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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daraufhin einen leisen Fluch ausstieß.
    »Ham wa uns erschrocken, wa? Passt bloß uff eure Beene uff, ihr feinen Pinkel!«, rief der Kerl ihnen höhnisch hinterher.
    Zu Jos Entsetzen hielt Isabelle ihr Velo an und drehte sich zu ihm um. »Kannste nich kieken? Feine Pinkel, von wegen! Du hältst wohl auch ’n Appel für ’n Ei, wa?«
    Der Knecht ließ seinen Eimer sinken, seine Miene war ein einziges Fragezeichen. »Ick werd verrückt – det sind gar keene Männeken, det sind Mariechen!«
    »Und was für welche!«, rief Isabelle, während sie eilig wieder aufsaß und losradelte. Jo, die ein Stück weiter vorn ebenfalls angehalten hatte, tat es ihr gleich. Von Isabelles Übermut angesteckt, rief sie dem Burschen zu: »Juten Tach noch!«
    Während sie eilig weiterradelten, konnten sie sich vor Kichern kaum auf den Velos halten. »Ob wir nun auch in die Zeitung kommen, so wie einst Irene und ihre Freundin Jule, als sie durch den Tiergarten geradelt sind?«, fragte Isabelle lachend.
    »Darauf kann ich wirklich verzichten«, entgegnete Jo. »So was wie gerade eben machen wir besser nicht mehr. Und nun? Fahren wir über den Fluss oder bleiben wir links der Spree?«
    »Links bleiben«, keuchte die Fabrikantentochter außer Atem.
    Ihre Blicke trafen sich, und jede sah das Glänzen in den Augen der anderen.
    Sie hatten den Boulevard Unter den Linden gerade erreicht, als Jo in ihrem Rücken die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne spürte. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Umhüllt von einem riesigen Glücksgefühl, fuhr sie unter dem Blätterbaldachin der Linden entlang. Als sie den Pariser Platz überquerten und durch das Brandenburger Tor fuhren, leuchtete das Sonnenlicht ihnen golden den Weg.
    Nach gut zwei Stunden waren sie wieder zu Hause, gerade rechtzeitig, denn nun füllten sich die Straßen mit Spazier- und Kirchgängern. Während Jo beide Räder hielt, rannte Isabelle zum Hof, um herauszufinden, ob die Luft rein war. Auf leisen Sohlen schoben sie dann die Velos in den Schuppen.
    Verschwörerisch schauten sich die jungen Frauen an. Das war tatsächlich gutgegangen! Der Fahrtwind hatte ihre Haare gelöst, ihre Wangen schimmerten rosa, ihre Augen funkelten wie polierte Edelsteine.
    »Das war das Schönste, was ich je in meinem bisherigen Leben erlebt habe«, sagte Isabelle und drückte Jo einen Kuss auf die Wange.
    Jo, an solche Zuneigungsbekundungen nicht gewöhnt, schluckte vor Rührung.
    »Das machen wir so bald wie möglich wieder«, beschlossen beide, dann ging jede nach einer letzten Umarmung ihres Weges.

10. Kapitel
    Der Herbst verging im Alltagseinerlei. Clara konnte endlich das Krankenhaus verlassen, ihr rechtes Bein war nach der erzwungenen Ruhe zwar etwas schmächtiger als das linke, der Bruch jedoch vollständig ausgeheilt. Zu Hause wartete eine erfreuliche Überraschung auf sie. »Vater und ich haben uns in den letzten Wochen viele Gedanken über dich gemacht, du weißt ja, dass wir nur dein Bestes wollen«, sagte Sophie Berg zu ihrer Tochter. »Und so sind wir zu dem Schluss gekommen, dass ein Jahr Haushaltsschule reicht, damit du später einmal deinem Ehemann den Haushalt führen kannst. Fortan wirst du deinem Vater in der Apotheke helfen, so wie du es dir immer gewünscht hast. Damit ist uns allen geholfen: Vater hat Unterstützung und ich habe ein Auge auf dich.«
    Mit großen Augen schaute Clara ihre Mutter an. Alles hatte sie erwartet, nur das nicht. Es hatte eines Beinbruchs bedurft, dass ein Wunder geschah.
    Auch Isabelle war sehr beschäftigt. Moritz Herrenhus gelang es auf komplizierten Umwegen, eine Einladung an den Hof des Kaisers zu bekommen. »Rosenball für galante junge Herren und aufblühende Schönheiten« war der Abend überschrieben, den er in Begleitung seiner Familie besuchen würde. So etwas war selbst für einen Fabrikanten wie ihn ungewöhnlich, und dementsprechend groß war die Aufregung.
    »Dort wirst du die erste Garde junger Herren kennenlernen und jede Menge Pläsier haben«, frohlockte Jeanette Herrenhus gegenüber ihrer Tochter.
    »Wehe, es findet sich auf diesem Ball kein standesgemäßer Heiratskandidat, allmählich habe ich dein Geziere wirklich satt«, drohte ihr Vater, was Isabelles Vorfreude auf das Fest schlagartig trübte. Ihrer Ansicht nach konnte von »Pläsier« keine Rede sein. Die Abende musste sie mit einer alten Gräfin verbringen, die nach Mottenkugeln roch und ihr und ihrer Mutter die wichtigsten Etiketteregeln für den Aufenthalt

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