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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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bei Hofe beibringen sollte. Daneben galt es, das perfekte Gastgeschenk zu wählen. Die wichtigste Frage überhaupt war jedoch die nach dem perfekten Ballkleid. Isabelle wusste, dass in dieser Angelegenheit jeder Widerstand zwecklos war, und ließ alles klaglos über sich ergehen. Während eine eifrige Schneiderin penibel ihre Maße nahm, träumte sie von den grünen Baumalleen, durch die Jo und sie geradelt waren.
    In der Hufschmiede vom Schmied-Schmied gab es hingegen weniger zu tun als in den Jahren davor. Die Gründe dafür waren verschiedener Art: Ein Teil der Kunden war zur Konkurrenz abgewandert – die Postkutscher und Mietdroschkenfahrer waren zwar keine zartbesaiteten Seelen, aber selbst ihnen ging die mürrische Art des Schmied-Schmied irgendwann gegen den Strich. So mancher private Pferdehalter hatte im letzten Jahr außerdem sein Ross verkauft oder zum Metzger gebracht – wozu eine aufwendige Pferdehaltung betreiben, wenn man viel bequemer und günstiger mit der Stadtbahn oder einer Mietdroschke von A nach B kommen konnte? Und dann noch die Velozipedisten …
    »Jetzt kommt Oskar Reutter auch schon auf einem Drahtesel daher! Deshalb hat er sein prachtvolles Gespann verkauft. Wegen seinesgleichen kann ich den Laden bald zumachen«, knurrte der Schmied-Schmied, als eines Tages der Besitzer des Kaufhauses an ihrer Schmiede vorbeizockelte. Er warf dem Nachbarn einen bösen Blick hinterher.
    Jo winkte ihrem einstigen Reisebegleiter lächelnd zu. »Ich finde es gut, dass Oskar Reutter mit seinen modernen Ansichten nun auch eine Leidenschaft fürs Velo entdeckt hat«, sagte sie, wohl wissend, dass sie ihren Vater damit nur noch weiter aufbrachte. »Von mir aus dürfte es ruhig mehr Velofahrer geben, sie beleben das Straßenbild, findest du nicht?«
    Sie sah seine Hand kommen, und blitzartig packte sie ihn am Handgelenk, bevor er zuschlagen konnte.
    »Schlag mich nie wieder«, sagte Josefine leise, aber bestimmt. Obwohl sie innerlich zitterte, zwang sie sich, ihrem Vater fest in die Augen zu schauen. »Felix ist tot! Daran änderst du nichts, ganz gleich, wie garstig du zu mir bist. Ich werde mir mein Leben lang nicht verzeihen, dass ich damals nicht bei ihm zu Hause geblieben bin. Das war ein Fehler von mir. Doch sein Tod war Schicksal, von Gottes Hand so bestimmt! Wenn ihr mir für den Rest eurer Tage die Schuld daran gebt, kann ich das nicht ändern. Aber wenn ich weiter für dich arbeiten soll, erwarte ich wenigstens deinen Respekt und dass du mich ordentlich behandelst.«
    Der Schmied-Schmied hatte ihrem Ausbruch schweigend zugehört.
    »Respekt! Gib mir lieber den Hammer«, knurrte er dann und wandte sich von ihr ab.
    »Man sollte ja glauben, deine Taten hätten dich Demut gelehrt. Stattdessen schwingst du vor deinem Vater freche Reden und legst einen Hochmut an den Tag, dass es den Herrgott graust. Aber eins sage ich dir, Gottes Strafe wird kommen«, sagte Elsbeth Schmied am Abend, während sie einen Eisentopf derb mit einer Wurzelbürste bearbeitete. Bebend vor Wut schaute sie ihre Tochter an.
    Josefine erwiderte ihren Blick kühl und ohne innere Regung.
    »Vom Herrgott lasse ich mich gern strafen, wenn es so weit ist. Aber ich ertrage es nicht mehr, dass Vater mich wegen nichts und wieder nichts ohrfeigt oder vor den Kunden rüffelt. Sollte das noch einmal geschehen, könnt ihr euch einen anderen Dummen suchen, der ohne einen Pfennig Lohn für euch wie ein Berserker schuftet. Dann gehe ich!« Mit hoch erhobenem Kopf und ohne ein weiteres Wort verließ Josefine die Küche.
    Das Jahr 1890 verabschiedete sich, das neue Jahr kam. Clara ging in ihrer Arbeit in der Apotheke auf. Als im Frühjahr die Temperaturen stiegen und Josefine sie fragte, ob sie an ihrer Stelle einmal frühmorgens mit Herrenhus’ Velo und Isabelle fahren wollte, schüttelte sie nur den Kopf. Sie hatte Besseres zu tun. Über Duftkompositionen für Seifen nachzudenken zum Beispiel. Dass die Freundinnen noch immer an dieser Verrücktheit festhielten, verstand sie nicht.
    Der Sommer 1891 wurde zu einer unbeschwerten, frohen Zeit. Sooft es ging, trafen sich Josefine und Isabelle in den frühen Morgenstunden am Tor des Herrenhus’schen Anwesens. Wenn sie sich im fahlen Licht des anbrechenden Tages in Männersachen gekleidet begegneten, löste dies längst kein belustigtes Kichern mehr aus – die muffigen alten Hosen und Jacken ihrer Väter schenkten ihnen schließlich die Freiheit, auf den Velozipeden unerkannt durch die Stadt fahren

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