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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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kommen.«
    »Das Kleidungsstück der Französin hat auch anders ausgesehen«, sagte Lilo mit schräg gelegtem Kopf und kritischem Blick. »Am Saum war der Stoff etwas zusammengerafft wie bei einer leinenen Unterhose, versteht ihr? Es war eine Art … Pumphose.«
    »Wir sollen in einer Unterhose Velo fahren?«, entsetzte sich Isabelle mit aufgerissenen Augen.
    Josefine konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Wer weiß, vielleicht wird das einmal die große Mode und dein Vater stellt solche Beinkleider bald in seiner Fabrik her.« Sie schaute an sich hinab. So unförmig, wie der Rock nun aussah, konnte sie ihn gerade noch in der Werkstatt tragen. Also holte sie tief Luft und sagte: »Jetzt ist es auch schon egal, machen wir eine Pumphose daraus!«
    Dieses Mal führte sie die Nadel selbst, und beim Nähen achtete sie darauf, dass sie die »Beine« des Rockes nicht zu eng zusammenzog. Als sie fertig war, zog sie das Kleidungsstück wieder an und drehte sich vor ihren Freundinnen einmal um die eigene Achse. »Wie sehe ich aus?«
    »Ich weiß nicht … Das costume rationnel war irgendwie eleganter«, murmelte Lilo.
    »Das sieht einfach nur unmöglich aus!«, rief Isabelle. »Jo, bei aller Liebe, du hast doch nicht vor, so –«
    »Und ob!«, unterbrach Jo sie lachend, dann schwang sie sich erneut auf den Rover. Kritisch schaute sie links und rechts an sich hinab: Statt wie bisher den Speichen gefährlich nahe zu kommen, schmiegte sich der Rockstoff nun an ihre Beine, ohne sie dabei einzuengen oder anderweitig zu behindern. Ihre Knöchel und ein kleines Stück Wade waren zwar zu sehen, die Knie hingegen waren bedeckt. Was wollte sie mehr?
    »Wie fühlt sich das an?«, wollte Lilo wissen.
    Lächelnd schaute Jo die Schwarzwälderin an. »Wie nanntest du es? Es ist ein völlig neues Fahrgefühl!« Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an ihren Rock zu verschwenden, drehte sie eine Runde nach der anderen.
    Am Samstag darauf reiste Lilo zurück in den Schwarzwald. Da Frieda schwere Beine hatte, blieb sie zu Hause, während Jo und Isabelle ihre Großnichte zum Bahnhof begleiteten.
    »Das nächste Mal seid ihr an der Reihe, mich zu besuchen«, sagte Lilo zu ihnen und umarmte die beiden zum Abschied herzlich.
    Mit hängenden Schultern schaute Josefine der Eisenbahn hinterher, die mit stinkendem Qualm den Bahnhof verließ. Von wegen – das nächste Mal seid ihr an der Reihe! Ob sie die Freundin je wiedersehen würde?
    »Da waren es nur noch zwei«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer zu Isabelle, während sie den Bahnhof verließen.
    »Heul bloß nicht, sonst kommen mir auch die Tränen!« Isabelle hakte sich bei ihr ein. Arm in Arm spazierten sie die belebte Straße entlang.
    In der Görlitzer Straße angekommen, blieb Josefine abrupt stehen und sagte: »Genug Trübsal geblasen, ich habe eine Idee.«
    Isabelle war sogleich ganz Ohr. »Welche denn?«
    Für einen kurzen Moment schloss Jo die Augen und genoss die Bilder, die, verführerisch und beängstigend zugleich, vor ihrem inneren Auge erschienen: Lange Straßen, breite Alleen, der Grunewald  … Wie viele Stunden in der Hufschmiede, wie viele Nächte in ihrem Bett hatte sie davon geträumt. Nun konnte aus den Bildern Wirklichkeit werden. Sie holte tief Luft und platzte heraus: »Wir machen eine Ausfahrt durch die Stadt!«
    »Mit dem Velo durch die Stadt?« Isabelles Augen weiteten sich vor lustvollem Entsetzen. »Aber … Das ist ja doppelt verboten! Damit bringst du uns in Teufels Küche. Wie willst du das anstellen?« Ihre Stimme klang atemlos.
    Jo schmunzelte. Für ein aufregendes Abenteuer war Isabelle immer zu haben.
    »Ein paar Vorkehrungen müssen wir dafür treffen, aber dann … Morgen früh, solang die Welt noch schläft, fahren wir los!«
    Der nächste Morgen war regnerisch. Die Luft roch nach nassem Kopfsteinpflaster. Geduckt lief Jo in der Dämmerung die Straße entlang, die alte Schirmmütze ihres Vaters tief in die Stirn gezogen. Einerseits war das Wetter für ihr Unterfangen gerade richtig, bestimmt würden die Berliner an einem regnerischen Sonntagmorgen ihre Häuser nicht unnötig verlassen. Andererseits machte der schmierige Straßenbelag aus regennassem Schmutz und Pferdemist die Fahrt zu einer schwierigen Rutschpartie.
    Isabelle wartete bereits am Tor des Herrenhus’schen Anwesens auf Jo, beide Velozipede lehnten neben ihr an der vom Regen grauen Mauer. Beide kicherten beim Anblick der anderen – wie Jo selbst trug auch Isabelle eine Hose,

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