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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Gerhard lachend erwidert und hinzugefügt, dass ihre Eltern sicher gern bereit wären, ihrer einzigen Tochter bei einem solchen Wunsch finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen.
    Clara war sich da nicht so sicher. Ihre Mutter würde allein schon bei der Vorstellung, sie in einem fremden Land zu wissen, Todesängste ausstehen.
    Sie seufzte leise auf. Bald würde ihre Mutter ihr nichts mehr zu sagen haben. Gott sei Dank!
    Ob sie das an Josefine schreiben sollte? Schwungvoll tauchte sie ihre Feder ins Tintenfass, nur um sie gleich wieder fortzulegen. Blödsinn! Sie konnte Jo doch nichts von verheißungsvoller Freiheit erzählen.
    Auf einmal war sie sich auch nicht mehr sicher, ob sie über Isabelles Frauenverein berichten sollte. Würde das nicht Jos Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit noch verstärken? Ihr bewusst machen, worauf sie hinter Gittern verzichten musste? Würde sie der Freundin mit solchen Neuigkeiten nicht schrecklich weh tun? Das wollte sie auf keinen Fall!
    Außerdem … Gedankenverloren kaute Clara auf dem Ende ihres Federkiels. Über Gerhards Auftreten bei der Eröffnungsfeier würde sie keinesfalls berichten können. Jo würde nicht verstehen, dass er aus lauter Sorge um ihr Wohlergehen so gesprochen hatte. Im Nachhinein fragte sich Clara, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war, mit ihm dorthin zu gehen! Wenn sie ehrlich war, hatte sie vor Gerhard mit ihrer Freundschaft zu Isabelle ein wenig angeben wollen. Nun, das war gründlich danebengegangen.
    Vielleicht war es besser, wenn sie sich bei ihrem Brief an Josefine auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrierte.

    … seit Gerhards Heiratsantrag bin ich die glücklichste Frau der Welt! Wir werden im Herbst heiraten und danach in der kleinen Wohnung über seiner Praxis wohnen, er hat deswegen schon beim Besitzer des Hauses, Herrn Jablonsky, angefragt. Wenn die Praxis erst einmal floriert und Gerhard alle Schulden abbezahlt hat, hat er mir ein größeres Haus versprochen.
    Liebste Josefine, obwohl mein Glück zum Greifen nah ist, kann ich selbst noch nicht glauben, dass ich bald Herrin über einen eigenen Haushalt sein werde. Dann werde ich endlich tun und lassen können, was ich mag, ohne dass meine Mutter mir ständig reinredet oder Vater alles besser weiß …
    Josefine ließ den Brief sinken. Clara und ihr Herr Doktor. Dass ihre Freundin heiraten würde, war ein so fremdartiger Gedanke, dass er ihr Innerstes kaum berührte. Hatte Clara nicht ein Studium der Pharmazie beginnen wollen? Wahrscheinlich war dies als verheiratete Frau nicht mehr möglich. Oder sie wollte es gar nicht mehr, nun, da sie bald die »Frau Doktor« war. So viele Fragen und keine Antworten dazu. Dabei hatte es eine Zeit gegeben, in der sie glaubte, Clara in- und auswendig zu kennen.
    »Du schaust drein, als hättest du einen Geist gesehen«, sagte Adele, die nebenan ihr Bett machte.
    Jo, deren Bett schon glattgezogen war, seufzte. »Wenn’s nur so wäre.« Sie zeigte auf den Brief. »Ein Brief meiner besten Freundin. Sie schreibt, dass sie heiraten wird. Das weckt solch ein seltsames Gefühl von Fremdheit in mir! Manchmal liege ich hier und versuche, mir die Stimmen von Frieda und Clara vorzustellen, und kann es nicht. Mir kommt es so vor, als ob die Menschen aus meinem früheren Leben verblassen. Das macht mir Angst! Nur den monotonen Schlag von Vaters Schmiedehammer – den habe ich immer noch im Ohr. Aber die Gesichter der anderen scheine ich immer mehr zu vergessen.«
    »Und deshalb hast du ein schlechtes Gewissen?«, fragte Adele spöttisch. »Mach dir doch nichts vor, die haben dich längst vergessen! Ein Dreivierteljahr bist du nun schon hier, doch deine Eltern haben sich bisher nicht blicken lassen. Und was ist mit deinen sogenannten Freundinnen? Mit Briefeschreiben und Besuchen überschlagen die sich auch nicht gerade. Am besten hältst du dich an uns, da weißt du, was du hast.« Mit einer Geste, die eher grob als tröstend war, tätschelte Adele Josefines Arm.
    Josefines Blick wanderte nachdenklich durch das vergitterte Fenster. Wie sich der Sommer draußen wohl anfühlte? War er genauso wild und verwegen wie der letzte, in dem Isabelle und sie die Nacht zum Tag gemacht hatten?
    Josefine schloss die Augen und sehnte krampfhaft das Gefühl herbei, wie es war, auf dem Velo in Richtung Süden zu fahren. Durch dicht begrünte Baumalleen, den Duft von blühendem Holunder in der Nase, die Sonne im Nacken und kleine Fliegen im Gesicht. An manchen Tagen

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