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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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setzen uns beide rechts neben die alte Frau, und wenig später kommt Elida mit vier Schalen auf einem Tablett wieder. Sie stellt jeweils eine vor uns hin und nimmt dann den Platz links neben ihrer Großmutter ein.
    »Kartoffel-Kohlsuppe«, sagt Elida. Sie deutet mit einem Nicken auf die Schalen, greift nach ihrem Löffel und zwinkert Annie zu. »Keine Sorge. Es schmeckt besser, als es klingt. Ich habe bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr in Albanien gelebt, und das war mein Lieblingsessen, als ich so alt war wie du.«
    Annie lächelt. Sie nimmt einen Löffel von ihrer Suppe, und ich tue dasselbe. Elida hat recht; es schmeckt sehr gut. Ich kann nicht genau sagen, was für Gewürze darin sind, aber es schmeckt herzhaft und frisch.
    »Das schmeckt richtig gut«, sagt Annie.
    »Ganz köstlich«, stimme ich ihr zu. »Sie müssen mir das Rezept geben.«
    »Mit Vergnügen«, sagt Elida. Ihre Großmutter sagt leise etwas auf Albanisch, und Elida nickt. »Meine Großmutter würde jetzt gerne die Geschichte hören, wie Ihre Großmutter gerettet wurde«, übersetzt Elida für uns. Ihre Großmutter nickt und sieht mich hoffnungsvoll an. Sie sagt noch etwas zu Elida, die wieder für uns übersetzt. »Meine Großmutter sagt, sie hofft, es ist nicht unhöflich von ihr, Sie darum zu bitten.«
    »Ganz und gar nicht«, murmele ich, obwohl mir noch immer nicht ganz klar ist, was wir hier eigentlich verloren haben. Aber in den nächsten zwanzig Minuten erzählen Annie und ich alles, was wir in letzter Zeit über Mamies Vergangenheit und ihre Flucht aus Paris erfahren haben. Während Elida unsere Worte ins Albanische übersetzt, hört ihre Großmutter zu, wobei sie uns gebannt ansieht und immer wieder nickt. Tränen treten ihr in die Augen, und einmal unterbricht sie Elida laut und sagt ein paar Sätze auf Albanisch.
    »Ich soll Ihnen sagen, dass die Geschichte Ihrer Großmutter wie ein Geschenk für sie ist«, sagt Elida. »Und dass sie sich sehr freut, dass Sie zu uns nach Hause gekommen sind. Sie sagt, es ist gut, dass junge Leute wie Sie und Ihre Tochter an das Prinzip der Einigkeit erinnert werden.«
    »Einigkeit?«, fragt Annie.
    Elida wendet sich zu meiner Tochter um und nickt. »Wir sind Muslime, Annie, aber wir glauben, dass du unsere Schwester bist, obwohl du Christin und jüdischer Herkunft bist. Ich habe einen Christen jüdischer Herkunft geheiratet, weil ich ihn liebe. Die Liebe kann Religionen überschreiten. Hast du das gewusst? In der heutigen Welt gibt es zu viel Verschiedenheit, aber Gott hat uns alle erschaffen, oder?«
    Annie nickt und sieht mich an; ich weiß, dass sie sich nicht sicher ist, was sie darauf erwidern soll. »Ja, ich nehm’s an«, sagt sie schließlich.
    »Deswegen habe ich angefangen, für den Abrahamischen Verband zu arbeiten«, erklärt Elida. »Um einen Beitrag dazu zu leisten, das Verständnis zwischen den Religionen zu fördern. In den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg scheint ein Großteil der Brüderlichkeit, die uns einmal verbunden hat, verschwunden zu sein.«
    »Aber was hat das mit uns zu tun?«, frage ich leise.
    Elidas Großmutter sagt etwas, und Elida nickt und wendet sich dann wieder zu mir um. »Ihre Bitte um Hilfe wurde an mich weitergeleitet«, sagt sie. »In unserer Kultur heißt das, dass ich jetzt die Verpflichtung habe, Ihnen zu helfen. Es ist ein Ehrenkodex namens Besa .«
    » Besa? «, wiederhole ich.
    Elida nickt. »Es ist ein albanisches Konzept, das auf den Koran zurückgeht, und es besagt, dass ich jemanden, der sich in seiner Not an mich wendet, nicht abweisen darf. Aufgrund der Besa haben meine Großmutter und ich Sie heute Abend hierher gebeten. Aufgrund der Besa haben meine Großmutter und ihre Freunde und Nachbarn unter Einsatz des eigenen Lebens viele Juden gerettet. Und wahrscheinlich wurde auch Ihre Großmutter aufgrund der Besa gerettet, auch wenn die Muslime in Paris nicht dieselbe Bezeichnung für dieses Konzept haben wie wir. Und jetzt würde meine Großmutter Ihnen gern ihre Geschichte erzählen.«
    Elidas Großmutter lächelt uns schweigend an, während Elida aufsteht, um unsere Suppenschalen abzuräumen. Annie bietet ihre Hilfe an, und einen Augenblick später kommen die beiden mit Tellern mit Fisch und Gemüse wieder.
    »Das ist Forelle, in Olivenöl und Knoblauch gebraten«, erklärt Elida, während sie und Annie wieder Platz nehmen. »Das ist ein weit verbreitetes Gericht in Albanien. Dazu gibt es gebackenen Lauch und albanischen Kartoffelsalat.

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