Solange am Himmel Sterne stehen
wenn Sie kommen und ihr Ihre Geschichte erzählen, und sie würde Ihnen wiederum gern ihre Geschichte erzählen.«
Ich werfe einen Blick auf Annie, die mich hoffnungsvoll ansieht. »Dürfte ich vielleicht meine Tochter mitbringen?«, frage ich.
»Natürlich«, sagt Elida prompt. »Sie ist herzlich willkommen, genau wie Sie. Und nachdem wir uns unsere Geschichten erzählt haben, werden wir Ihnen helfen, diesen Jacob zu finden, okay? Meine Großmutter sagt, sie weiß, wie wichtig es ist, hier in der Gegenwart der Vergangenheit zu begegnen.«
»Augenblick.« Ich halte eine Hand über den Hörer und erkläre Annie rasch Elidas Bitte.
»Da müssen wir hin, Mom«, sagt sie ernst. »Die Oma dieser Dame hört sich genau wie Mamie an. Nur dass sie aus Albanien anstatt Frankreich ist. Und Muslimin anstatt Jüdin. Wir sollten mit ihr reden.«
Ich sehe meine Tochter einen Moment an, und mir wird klar, dass sie recht hat. Meine Großmutter liegt im Koma, aber Elidas Großmutter kann noch sprechen. Vielleicht werden wir nie die ganze Geschichte erfahren, was mit meiner Großmutter passiert ist, aber die Geschichte einer anderen Frau aus derselben Zeit zu hören, die in einer ähnlichen Situation wie Mamie war, könnte uns helfen, sie zu verstehen.
»Okay«, sage ich zu Elida. »Dann kommen wir so gegen sechs. Wo genau wohnen Sie?«
Annie lädt Alain ein, uns nach Pembroke zu begleiten, aber er sagt, dass er stattdessen lieber bei Mamie bleiben will. Wir fahren beim Krankenhaus vorbei, um uns für ein paar Minuten zu Mamie zu setzen, und dann brechen Annie und ich wieder auf, nachdem wir Alain versprochen haben, ihn auf dem Rückweg abzuholen. Er hat die Nachtschwestern im Krankenhaus mit seinem Charme beschwatzt, bei den Besuchszeiten ein Auge zuzudrücken; sie kennen alle seine Geschichte und wissen, dass er fast siebzig Jahre von seiner Schwester getrennt war.
Es ist kurz nach sechs, als wir in Pembroke vom Highway abfahren. Dank der Wegbeschreibung, die sie uns gegeben hat, finden wir Elidas Haus problemlos. Es ist ein zweistöckiges blaues Gebäude mit weißen Fensterläden in einer kleinen, gepflegten Wohngegend gleich hinter einer katholischen Kirche. Annie und ich tauschen einen Blick, steigen aus dem Wagen und drücken auf die Klingel.
Die Frau, die die Tür öffnet und sich als Elida vorstellt, ist älter, als ich erwartet hatte, dem Aussehen nach vielleicht Mitte vierzig. Ihre Haut ist blass, und sie hat dichtes schwarzes Haar, das ihr fast bis zur Taille über den Rücken fällt. Ich habe noch nie jemanden aus Albanien kennengelernt, aber sie sieht so aus, wie ich mir jemanden aus Griechenland oder Italien vorstellen würde.
»Willkommen bei uns zu Hause«, sagt sie und gibt erst mir und dann Annie die Hand. Sie hat tief liegende braune Augen, und ihr Lächeln ist freundlich. »Heute Abend sind nur meine Großmutter und ich da. Mein Mann, Will, arbeitet. Bitte, kommen Sie herein.«
Ich überreiche ihr die Schachtel mit Sterntörtchen, die ich als Dessert mitgebracht habe, und nachdem sie sich dafür bedankt hat, folgen wir ihr durch einen Flur, der mit Schwarz-Weiß-Fotografien von, wie ich vermute, Familienangehörigen gesäumt ist. Sie erzählt uns, dass in Albanien die Hauptmahlzeit des Tages das Mittagessen ist, dass sie aber heute ein besonderes Abendessen vorbereitet hat. »Ich hoffe, Sie mögen Fisch«, sagt sie halb zu uns umgewandt. »Ich habe ein altes Familienrezept gekocht, das meine Großmutter in Albanien immer verwendet hat.«
»Sehr gern«, sage ich, und Annie nickt. »Aber Sie hätten sich nicht solche Umstände machen sollen.«
»Es ist uns ein Vergnügen«, sagt sie. »Sie sind unsere Gäste.«
Wir gehen um die Ecke in ein matt erhelltes Esszimmer. Am Kopfende des Tischs sitzt eine Frau, die noch weitaus älter aussieht als Mamie. Ihr Gesicht ist von tiefen Furchen durchzogen, und ihr schlohweißes Haar an einigen Stellen ausgefallen, sodass ihr Kopf seltsam ungleichmäßig kahl aussieht. Sie trägt einen schwarzen Pullover und einen langen grauen Rock, und sie sieht uns mit leuchtenden Augen hinter einer riesigen Schildpattbrille an, die viel zu groß für ihr Gesicht zu sein scheint. Sie sagt etwas in einer Sprache, die ich nicht kenne.
»Das ist meine Großmutter, Nadire Veseli«, sagt Elida zu Annie und mir. »Sie spricht nur Albanisch. Sie sagt, sie freut sich, dass Sie gekommen sind, und heißt Sie herzlich willkommen in unserem Zuhause.«
»Danke«, erwidere ich.
Annie und ich
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