Solange am Himmel Sterne stehen
eine Liste, wobei sie jeden Namen sorgfältig und deutlich in großen Blockbuchstaben schrieb, trotz ihrer zitternden Hände.
Etwas später an diesem Tag, als sie mit Hope und Annie zum Strand fuhr, hatte sie dreimal in ihrer Rocktasche nachgesehen, nur um sich zu vergewissern, dass die Liste noch immer da war. Sie bedeutete ihr alles, und nun würde auch Hope bald die Wahrheit erfahren. Es war unmöglich, die Flut noch länger aufzuhalten. Und Rose war sich ohnehin nicht sicher, ob sie das überhaupt noch wollte. Ein Eine-Frau-Damm gegen eine einsetzende Flut zu sein war erschöpfend.
Jetzt, während sie auf den aufgeschichteten Felsen stand, ihre Enkelin an einer Seite und ihre Urenkelin an der anderen, in der verblassenden heure bleue , sah sie zum Himmel hoch und atmete ein und aus, im Rhythmus mit dem Ozean, während sie das Sterntörtchen in ihren Händen hielt. Sie warf das erste Stück ins Wasser und sprach so leise, dass sie ihre eigenen Worte über dem rhythmischen Rauschen der Wellen nicht hören konnte.
»Es tut mir leid, dass ich gegangen bin«, flüsterte sie in den Wind.
»Es tut mir leid, dass ich die Entscheidungen getroffen habe, die ich getroffen habe.« Ein Stück Kruste landete auf einer heranrollenden Welle.
»Es tut mir leid um die Menschen, die ich verletzt habe.« Der Wind trug ihre Worte fort.
Während sie das Törtchen Stück für Stück ins Meer warf, sah sie zu Hope und Annie, die sie beide verwirrt anstarrten. Sie verspürte einen Anflug von Schuldgefühlen, da sie ihnen Angst machte, aber sie würden es noch früh genug verstehen. Es war an der Zeit.
Sie sah wieder zum Himmel und sprach leise zu Gott, benutzte Worte, die sie seit sechzig Jahren nicht mehr laut ausgesprochen hatte. Sie erwartete keine Vergebung. Sie wusste, dass sie sie nicht verdient hatte. Aber sie wollte Gott wissen lassen, dass es ihr leidtat.
Niemand kannte die Wahrheit. Niemand außer Gott und natürlich Ted, der vor fünfundzwanzig Jahren verstorben war. Er war ein guter Mann gewesen, ein freundlicher Mann, Papa für ihre Josephine und Opa für ihre Hope. Er hatte ihnen Liebe entgegengebracht, und dafür würde sie ewig dankbar sein, denn sie selbst hatte sich nicht darauf verstanden. Trotzdem fragte sie sich, ob er sie genauso geliebt hätte, wenn er die ganze Wahrheit gekannt hätte. Er hatte sie sich denken können, das wusste sie, aber sie ihm zu sagen, sie laut auszusprechen, das hätte seine Seele erschüttert.
Rose holte einmal tief Luft und sah Hope in die Augen, der Enkelin, die sie, wie sie wusste, enttäuscht hatte. Hopes Mutter, Josephine, hatte unter Roses Fehlern gelitten, und daher auch Hope. Selbst jetzt konnte es Rose in den Augen ihrer Enkelin sehen und an der Art und Weise, wie sie ihr Leben lebte. Dann sah sie hinüber zu Annie, dem Mädchen, das dafür gesorgt hatte, dass all die Erinnerungen zurückfluteten. Sie hoffte auf eine bessere Zukunft für sie. »Du musst etwas für mich tun«, wandte sich Rose schließlich an ihre Enkelin.
»Was brauchst du?«, fragte Hope leise. »Ich werde alles tun, was du willst.«
Hope wusste nicht, wozu sie sich bereit erklärte, aber Rose hatte keine andere Wahl.
»Du musst nach Paris fahren«, sagte Rose ruhig.
Hopes Augen weiteten sich. »Nach Paris?«
»Nach Paris«, wiederholte Rose entschieden. Bevor Hope irgendwelche Fragen stellen konnte, fuhr sie fort: »Ich muss wissen, was mit meiner Familie passiert ist.« Rose griff in ihre Rocktasche und zog die Liste hervor, die sich anfühlte, als würde sie brennen, zusammen mit einem Scheck über eintausend Dollar, den sie sorgfältig ausgestellt hatte. Genug für ein Flugticket nach Frankreich. Ihre Handfläche brannte, als Hope ihr beides abnahm. »Ich muss es wissen«, wiederholte Rose leise. Die Wellen schlugen wieder gegen den Damm ihrer Erinnerungen, und sie machte sich auf die Flut gefasst.
»Deine … Familie?«, fragte Hope zögernd.
Rose nickte, und Hope entfaltete das Blatt Papier. Ihre Augen überflogen rasch die sieben Namen.
Sieben Namen , dachte Rose. Sie blickte nach oben, wo die Sterne des Großen Wagens allmählich aufgingen. Sieben Sterne am Himmel . »Ich muss erfahren, was passiert ist«, sagte sie zu ihrer Enkelin. »Und du musst es jetzt auch erfahren.«
»Was ist denn los?«, schaltete sich Annie ein. Sie sah verängstigt aus, und Rose sehnte sich danach, sie zu trösten, aber sie wusste, dass sie sich auf Trost auch nicht besser verstand als auf die Wahrheit. Das
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