Solange am Himmel Sterne stehen
Holocaust, der Schoah, die Rose zu jenem entsetzlichen Tag im Jahr 1949 zurückschleuderte, als ihr lieber Ted nach Hause gekommen war und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte.
Sie liebte ihren Ehemann. Und da sie ihren Ehemann liebte, hatte sie ihm von Jacob erzählt, denn sie wusste, dass sie zu den Menschen, die sie liebte, aufrichtig sein sollte. Und sie war aufrichtig gewesen – bis zu einem gewissen Grad. Sie hatte Ted erzählt, dass es einen Mann gab, den sie in Paris sehr geliebt hatte. Es war fast unnötig gewesen, es zu sagen; sie wusste, dass es ohnehin offensichtlich war.
Aber als er sie gefragt hatte, ob sie den Mann in Paris mehr liebte als ihn, da hatte sie ihm nicht in die Augen sehen können. Und daher hatte er es gewusst. Er hatte es immer gewusst.
Sie wünschte, sie würde anders fühlen. Ted war ein wundervoller Mann. Er war ein wundervoller Vater für Josephine. Er war vertrauenswürdig und verlässlich. Er hatte ihr ein Leben aufgebaut, das sie sich vor all den Jahren im Land ihrer Geburt niemals hätte erträumen können.
Aber er war nicht Jacob. Und das war sein einziger Makel.
In den ersten Jahren nach dem Krieg hatte sie es gar nicht wissen wollen. Jedenfalls nicht offiziell. In der ersten Zeit, als sie mit Ted verheiratet war und sie in New York lebten, in einer Wohnung nicht weit von der Freiheitsstatue, gab es immer wieder vereinzelte Neuigkeiten von anderen Einwanderern, die nach und nach aus Frankreich eintrudelten. Überlebende, so nannten sie sich. Rose fand, dass sie vielmehr wie Geister aussahen, bereits tot. Farblose, ausgehöhlte, ausdruckslose Augen, die durch Räume schweiften, als würden sie nicht wirklich dorthin gehören.
Ich habe deine Mutter gekannt , sagte einer der Geister. Ich habe sie in Auschwitz sterben sehen.
Ich habe die süße kleine Danielle in Drancy gesehen , sagte ein anderer. Ich weiß nicht, ob sie es auf den Transport geschafft hat .
Und die Neuigkeit, die ihre Seele erschütterte, kam von einem Geist namens Monsieur Pinusiewicz, den sie in einem früheren Leben gekannt hatte. Er war der Fleischer, dessen Geschäft in derselben Straße wie die Bäckerei ihrer Großeltern gelegen hatte.
Dieser Junge, mit dem du immer herumgelaufen bist? Jacob?
Rose hatte ihn angestarrt. Sie wollte nicht, dass er fortfuhr, denn sie konnte die Wahrheit in seinen Augen geschrieben sehen. Sie konnte es nicht ertragen, sie zu hören. Sie hatte einen erstickten Laut von sich gegeben, denn das war alles, was sie hervorstoßen konnte, und er hatte das als Zeichen aufgefasst fortzufahren.
Er war in Auschwitz. Ich habe ihn dort gesehen. Und ich habe ihn an dem Tag gesehen, an dem sie ihn zur Gaskammer geführt haben .
Und das war es gewesen. Er war verschwunden. Der Geist von Monsieur Pinusiewicz ebenso wie der letzte Funken Hoffnung, den sie gehabt hatte, sie könnte ihre Vergangenheit irgendwie wiederfinden.
Als sie New York schließlich verließ, wusste sie, dass es niemanden mehr gab. Die Geister hatten es ihr gesagt. Einer hatte gesehen, wie ihr Vater krank wurde, während er in Auschwitz im Krematorium arbeitete. Ein anderer hatte die Hand ihrer Mutter gehalten, als sie im Sterben lag. Wieder ein anderer hatte an Hélènes Seite gearbeitet und war eines Tages vom Feld zurückgekehrt, an einem Tag, als Hélène zu krank war, um von ihrer Schlafstatt aufzustehen, und hatte sie auf dem Boden liegend vorgefunden, totgeprügelt von den Wachleuten, ihr wunderschönes braunes Haar blutverklebt. Die Schicksale der anderen waren weniger klar, und Rose stellte keine Fragen. Was zählte, war, dass sie alle tot waren. Alle.
Und so hatte sie, als Ted ihr ein Leben weit weg von diesen hohläugigen Geistern versprach, weit weg von New York, an einem zauberhaften Ort namens Cape Cod, wo, wie er sagte, die Wellen gegen sandige Strände schlugen und Cranberrysträucher wuchsen, Ja gesagt. Da sie ihn liebte. Und da sie es schaffen musste, endgültig jemand anders zu werden. Sie musste sich darauf konzentrieren, eine Familie zu gründen, da die, die sie einmal gehabt hatte, für immer verloren war.
Aber 1949, sieben Jahre nachdem sie Paris verlassen hatte, musste sie es mit Bestimmtheit wissen. Sie wusste, dass sie Rose Picard nicht ohne die Gewissheit begraben konnte, die ihr nur die offiziellen Unterlagen geben konnten. Was, wenn einer der Geister sich geirrt hatte? Was, wenn die kleine Danielle doch überlebt hatte und irgendwo in einem Waisenhaus war und glaubte,
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