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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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dass es auf der Welt niemanden mehr gab, der sie liebte? Was, wenn Hélène auf jenem Boden dort nicht gestorben war, sondern entkommen war und nun auf Rose wartete und sich fragte, wo sie war? Was, wenn der Geist, der gesagt hatte, er hätte die Hand ihrer Mutter gehalten, sich in der Identität der Frau getäuscht hatte, die er sterben sah?
    Aber Rose konnte nicht hinfahren. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie es mit ihren gefälschten Papieren überhaupt in die Vereinigten Staaten geschafft hatte. Sie wusste, dass die Leute bei der Einwanderungsbehörde vermutlich nur deshalb ein Auge zugedrückt hatten, weil sie Ted geheiratet hatte, einen Kriegshelden. Sie hatte ihren Handel gemacht; jetzt war ihr Leben hier, und sie hatte eine kleine Tochter, die sie brauchte. Sie traute Frankreich nicht. Sie vertraute dem Land nicht, dass es sie wieder gehen lassen würde. Und sie befürchtete, dass ihr Herz es ohnehin nicht ertragen könnte zurückzukehren.
    Und so bat sie Ted hinzufahren. Und da er sie liebte und ein guter Mann war, sagte er Ja.
    Er brach an einem strahlenden Montag im Sommer auf. Sie wartete, während sich die Sekunden zu Minuten dehnten und die Minuten ihr wie Stunden vorkamen. Die Zeit zog sich so endlos hin wie das Toffee, das sie, Ted und die kleine Josephine auf ihrer Reise nach Atlantic City im Sommer zuvor gegessen hatten.
    Als er schließlich sehr spät an jenem Freitagabend nach Hause kam, setzte er sich mit ihr in die stille, feuchte Hitze der Cape-Cod-Nacht und erzählte ihr alles.
    Er war bei der Synagoge gewesen, bei der Rose aufgewachsen war. Es schmerzte sie zutiefst, als er ihr berichtete, dass die Synagoge im Krieg zerstört, aber so gut wie neu wiederaufgebaut worden war. Da wusste sie, dass er nicht verstand, dass Dinge, selbst wenn sie wiederaufgebaut wurden, nicht mehr dieselben waren. Das, was zerstört worden war, konnte man niemals wiedererlangen.
    »Sie sind alle umgekommen, Rose«, sagte er sanft zu ihr. Er sah ihr in die Augen und hielt ihre Hände fest umklammert, als hätte er Angst, sie könnte davonschweben wie ein Heliumballon auf dem Weg zum Himmel. »Deine Mutter, dein Vater, deine Schwestern, deine Brüder. Alle. Es tut mir so leid.«
    »Oh«, war alles, was sie hervorstoßen konnte.
    »Ich habe mit dem Rabbi dort gesprochen«, sagte Ted leise. »Er hat mir gezeigt, wo ich die Unterlagen finden konnte. Es tut mir so leid.«
    Sie erwiderte nichts.
    »Willst du wissen, was mit ihnen passiert ist, Rose?«, fragte Ted.
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. Sie ertrug es nicht, es zu hören. Sie befürchtete, ihr Herz würde dabei in tausend Stücke zerspringen. Würde sie hier sterben, vor ihrem Ehemann, mit ihrer Tochter oben, wenn es brach? »Es ist meine Schuld«, flüsterte sie.
    »Nein, Rose!«, rief Ted aus. »Das darfst du nicht denken. Nichts von alledem ist deine Schuld.« Er nahm sie in die Arme, aber ihr Körper war steif, widerstrebend.
    Sie schüttelte langsam den Kopf, an seine Brust gelehnt. »Ich wusste es«, flüsterte sie. »Ich wusste, dass sie kommen würden, um uns abzuholen. Und ich habe mich nicht genug bemüht, meine Familie zu retten.«
    Ihr war klar, dass sie damit für immer leben musste. Aber sie wusste nicht, wie. Das war der Grund, weshalb sie nicht mehr sie selbst sein konnte. Das war der Grund, weshalb sie Trost in Rose Durand und später in Rose McKenna gefunden hatte. Es war unmöglich, Rose Picard zu sein. Rose Picard war vor langer Zeit mit ihrer Familie in Europa gestorben.
    »Es ist nicht deine Schuld«, sagte Ted noch einmal. »Du musst aufhören, dir Vorwürfe zu machen.«
    Sie nickte, denn sie wusste, dass das von ihr erwartet wurde. Sie löste sich von ihm. »Und Jacob Levy?«, fragte sie mit tonloser Stimme, während sie schließlich doch aufsah, um Teds Blick zu erwidern.
    Diesmal war er es, der den Blick abwandte. »Meine liebe Rose«, sagte er. »Dein Freund Jacob ist in Auschwitz gestorben. Kurz vor der Befreiung des Lagers.«
    Rose blinzelte ein paarmal. Es war, als hätte ihr jemand den Kopf unter Wasser gedrückt. Auf einmal konnte sie nichts mehr sehen, konnte nicht mehr atmen. Sie schnappte nach Luft. »Bist du sicher?«, fragte sie eine ganze Weile später, als sich ihre Lungen wieder mit Luft gefüllt hatten.
    »Es tut mir leid«, sagte Ted.
    Und das war es gewesen. An jenem Tag war die Welt für Rose sehr kalt geworden. Sie nickte und wandte den Blick von ihrem Mann ab. Sie würde nicht weinen.

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