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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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Sie konnte nicht weinen. Sie war innerlich bereits gestorben, und zu weinen würde heißen zu leben. Und wie konnte sie das ohne Jacob?
    Jacob hatte ihr immer gesagt, dass die Liebe sie beide retten würde. Und sie hatte ihm geglaubt. Aber er hatte unrecht behalten. Sie war gerettet worden, aber was war sie schon ohne ihn? Welchen Sinn hatte ihr Leben dann noch?
    In diesem Augenblick tauchte Josephine um die Ecke auf, in dem langen rosa Baumwollnachthemd, das Rose ihr genäht hatte, ihre Cynthia-Puppe umklammernd.
    »Was ist los, Mama?«, fragte Josephine von der Tür, schläfrig ihre Eltern anblinzelnd.
    »Ach nichts, Liebes.« Rose stand auf und durchquerte das Zimmer, um sich neben ihre Tochter zu knien. Sie sah das kleine Mädchen an und rief sich in Erinnerung, dass dies jetzt ihre Familie war; dass die Vergangenheit vorbei war, dass sie es diesem Leben schuldig war, weiter durchzuhalten.
    Aber sie fühlte nichts.
    Nachdem sie Josephine wieder ins Bett gesteckt und ihr ein Schlaflied gesungen hatte, das ihre eigene Mutter ihr so viele Jahre zuvor gesungen hatte, hatte sie im Dunkeln neben Ted gelegen, bis sich seine Brust im Schlummer sanft hob und senkte und sie spürte, wie er in seine Träume entglitt.
    Sie erhob sich leise, schweigend, und ging auf den Flur hinaus. Sie stieg die schmale Treppe zu der kleinen Dachterrasse ihres Hauses hoch und trat in die stille Nacht hinaus.
    Der Mond stand voll und schwer über der Bucht von Cape Cod, die Rose über den Häuserdächern sehen konnte. Das fahle Licht des Mondes spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, und wenn Rose hinuntergesehen hätte, dann hätte sie fast glauben können, dass das Meer von innen beleuchtet war. Aber sie sah nicht hinunter. In dieser Nacht suchte sie den Himmel nach den Sternen ab, die sie benannt hatte. Mama. Papa. Hélène. Claude. Alain. David. Danielle .
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie in den Himmel. »Es tut mir so leid.«
    Es kam keine Antwort. In der nahen Ferne hörte sie die Wellen an die Küste schlagen. Der Himmel schwieg.
    Sie suchte den Himmel ab, Entschuldigungen murmelnd, bis am östlichen Horizont der Morgen zu dämmern begann. Sie konnte ihn noch immer nicht finden. War das ihr Schicksal? War er für sie für immer verloren?
    »Jacob, wo bist du?«, rief sie zum Himmel hoch.
    Aber es kam keine Antwort.

14
    Die Luft in Paris wird ganz still, als sich die Dunkelheit über die Stadt senkt. Zuerst verdüstert sich der Himmel, geht von dem fahlen, diesigen Lavendelblau des Spätnachmittags in das tiefer werdende Blau des Abends über, orangerot und golden gestreift am Horizont. Während die ersten Sterne Löcher in das Tuch der Abenddämmerung brennen, halten sich noch Wolkenfetzen über der untergehenden Sonne, färben sich in rubinroten und rosa Schattierungen. Schließlich, als das Saphirblau in die Nacht entschwindet, gehen die Lichter von Paris an, so funkelnd und unendlich wie die Sterne. Ich stehe mit Alain auf dem Pont des Arts und sehe ehrfürchtig zu, wie der Eiffelturm mit einer Million winziger weißer Lichter vor dem samtigen Himmel zu glitzern beginnt.
    »Ich habe noch nie etwas so Wunderschönes gesehen«, murmele ich. Alain hatte einen Spaziergang vorgeschlagen, da er eine Pause vom Reden über die Vergangenheit brauchte. Ich brenne darauf, die Geschichte von Jacob zu hören, aber ich will Alain nicht bedrängen. Ich muss mir vor Augen halten, dass Alain achtzig Jahre alt ist und dass diese lange vergrabenen Erinnerungen schmerzlich für ihn sein müssen.
    Wir lehnen uns gegen das Brückengeländer, blicken nach Westen, und als sich seine Hand sanft um meine schließt, kann ich spüren, wie sie zittert. »Genau das hat deine Großmutter auch immer gesagt«, sagt er leise. »Sie ist immer mit mir hierher gegangen, als ich ein kleiner Junge war, vor der Besatzung, und hat mir erzählt, der Sonnenuntergang über der Seine sei eine Schau Gottes, nur für uns aufgeführt.«
    Ich spüre Tränen in meinen Augen und schüttele den Kopf, um sie loszuwerden, denn sie lassen die zauberhafte Aussicht verschwimmen.
    »Wenn ich mich einsam fühle«, sagt Alain, »komme ich immer hierher. Ich habe jahrelang geträumt, Rose sei bei Gott und würde den Himmel für mich erleuchten. Ich habe mir nie vorgestellt, dass sie die ganze Zeit am Leben war.«
    »Wir müssen noch einmal versuchen, sie zu erreichen«, sage ich. Wir hatten sie anzurufen versucht, bevor wir zu unserem Spaziergang aufbrachen, aber sie hatte nicht

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