Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
Vom Netzwerk:
umrahmt von Holzstühlen mit leuchtend blauen, geflochtenen Sitzflächen und Lehnen. Tiefgrüne Pflanzen mit gelben Blüten ranken sich an den Mauern empor, und Spatzen hüpfen von einem Tisch zum anderen. Es ist friedlich und still und so leer, dass ich mir sicher bin, dass noch nicht geöffnet ist.
    Ein Araber mittleren Alters, ganz in Schwarz gekleidet, kommt auf uns zu und sagt etwas auf Französisch. Alain antwortet und zeigt auf mich, und die nächste Minute unterhalten sich die vier Männer in schnellem Französisch. Ich verstehe kein Wort. Der Mann schüttelt zunächst den Kopf, aber dann dreht er sich um und fordert uns mit einer Handbewegung auf, ihm eine kleine Treppe hoch ins Hauptgebäude zu folgen.
    Dort, hinter dem Eingang, steht ein junger, vielleicht fünfundzwanzigjähriger Mann mit dunklen Haaren und olivfarbener Haut, der eine Bäckereivitrine mit Gebäckstücken füllt, und mir stockt das Herz, als ich einen Blick hineinwerfe. In der Vitrine liegen allerlei Backwaren, von denen fast die Hälfte genau dieselben sind wie die, die ich zu Hause in meiner eigenen Bäckerei herstelle. Da gibt es zarte Halbmonde, mit schneeweißem Puderzucker bestäubt; kleine, hellgrüne Törtchen in einem weißen Teigmantel, mit winzigen Pistazienstücken bestreut; in Honig getauchte Baklava und klebrige Mandeltörtchen, mit einer einzelnen Kirsche in der Mitte. Da gibt es dünne Blätterteigrollen, in Zucker gewälzt; dicke Scheiben eines zuckersüßen Mandelkuchens, in Mandeln gewälzt; und es gibt sogar die kleinen, festen Ringe mit Zimt und Honig, die Annies Lieblingsgebäck sind, seit sie ein kleines Mädchen war.
    Mein Herz hämmert, als ich zu Alain hochsehe.
    »Sind es dieselben?«, fragt er.
    Ich nicke langsam. »Es sind dieselben«, bestätige ich.
    Er lächelt, auf einmal mit feuchten Augen, und wendet sich an den älteren Mann, der uns stirnrunzelnd ansieht. Sie wechseln ein paar Sätze auf Französisch, und dann wendet sich Alain an mich. »Hope, würdest du diesem Mann von deinen Gebäckstücken erzählen? Ich habe ihm erzählt, was, wie wir glauben, vielleicht mit Rose passiert ist.«
    Ich lächele den Mann an, der etwas skeptisch blickt. »Die Dinge, die Sie hier backen«, sage ich. »Das sind dieselben, die mir meine Großmutter zu backen beigebracht hat. Es sind dieselben Dinge, die wir in unserer Bäckerei am Cape Cod verkaufen.«
    Der Mann schüttelt den Kopf. »Das hat nichts zu bedeuten. Das sind ganz gewöhnliche Gebäckstücke. Und es gibt viele Juden, die aus Nordafrika hierhergekommen sind. Diese Gebäckstücke sind nicht ausschließlich muslimisch, wissen Sie. Ihre Großmutter hätte überall lernen können, wie man sie macht. Vermutlich hat eine andere Jüdin es ihr beigebracht.«
    Meine Stimmung sinkt. Es ist albern von uns, unsere ganze Vorstellung von der Vergangenheit auf eine Auswahl von Gebäckstücken aufzubauen. »Natürlich«, murmele ich. »Entschuldigung.« Ich nicke langsam und wende mich ab.
    Alain legt mir eine Hand auf den Arm. »Hope?«, fragt er. »Geht es dir gut?«
    Ich nicke wieder, ohne es zu meinen. Ich bin um Worte verlegen, denn ich habe das Gefühl, gleich in Tränen auszubrechen, und ich verstehe nicht recht, warum. Ich weiß nicht, warum es mir so wichtig ist, eine Erklärung dafür zu finden, was mit Mamie passiert ist, aber so ist es nun einmal. Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie mich hierhergeschickt hat, damit ich etwas über ihre Vergangenheit erfahre. Aber jetzt werden wir vielleicht nie herausfinden, wie sie es geschafft hat, den Krieg zu überleben.
    »Gehen wir«, bringe ich schließlich zustande. Der Mann in Schwarz nickt uns knapp zu und entfernt sich, während Henri und Simon langsam in die Richtung zurückgehen, aus der wir gekommen sind. Alain und ich wollen ihnen eben schon folgen, als mir auf einmal ein vertrauter Geruch in die Nase steigt. Ich bleibe unvermittelt stehen. Ich drehe mich langsam um und sehe den jungen Mann hinter der Gebäcktheke an, der eben ein Tablett mit rechteckigen, mit Puderzucker bestäubten Gebäckstücken in die Vitrine schiebt. Ich gehe noch einmal zurück zur Theke.
    »Entschuldigung«, sage ich. »Haben Sie zufällig, ähm …« Ich versuche angestrengt, mich an den Namen des Teilchens in der Bäckerei im Marais zu erinnern. »… Ronde des Pavés?«
    Der Mann sieht mich an. »Ronde des Pavés?«, wiederholt er. »Ich nicht sprechen gut Englisch. Mais, non, ich nicht weiß, was das ist, Ronde des

Weitere Kostenlose Bücher