Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
Tag war ich kurz davor, ihr zu schreiben, und habe es dann doch nicht getan. Häufig habe ich ihre Nummer in der Hand gehalten und daran gedacht, sie anzurufen, und habe dann wieder davon Abstand genommen. Ist es die Angst? Wovor habe ich Angst? Vielleicht ist es für mich beängstigend, dass mein Herz schneller als mein Geist ist.
Morgen ist es so weit und ich werde nach Edmonton fahren.
Nach über 300 km Fahrt bin ich endlich angekommen und stehe nun vor dem Haus, wo Lea wohnen soll. Ich werde so lange warten, bis ich sie sehe. Vielleicht erinnere ich mich dann allmählich wieder. Eine junge Frau läuft ständig um das Haus herum und reißt irgendwelche Pflanzen aus. Vielleicht Unkraut. Sie hat dunkles Haar, welches sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt. Ich glaube nicht, dass das Lea ist. So, wie ich sie noch in Erinnerung habe, hat sie mittelblondes Haar. Außerdem hat sie meeresblaue Augen, das weiß ich noch ganz genau. Vielleicht sollte ich sie doch ansprechen, um zu sehen, ob sie es ist. Ihre Augenfarbe würde sofort verraten, ob sie es wirklich ist. Während ich auf sie zugehe, bin ich, anders als erwartet, innerlich ruhig. Ich habe mich richtig gut im Griff und trete voller Selbstbewusstsein auf sie zu.
„Hallo“, sage ich verlegen.
Die Frau, die mir zuerst noch den Rücken zugewandt hat, dreht sich endlich um. Sie blickt mir in die Augen und jetzt sehe ich diese meeresblauen Augen, die sofort einen Funken Erinnerung in mir hochkommen lassen. Das muss sie sein. Zwar stimmt die Haarfarbe nicht, aber es sind diese Augen.
„Ich bin es“, sage ich und hoffe, dass sie mich erkennt, obwohl ich sie nicht kenne.
„Ja, hallo?“, entgegnet sie mir verwundert.
Gerade frage ich mich, ob wir uns schon so lange nicht mehr gesehen haben, da sie mich, wie es scheint, nicht erkennt. „Also, ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber bist du nicht Lea Aurelius?“, frage ich mit lauter Stimme, da soeben ein Laster vorbeifährt.
„Aurelius?“, fragt sie ebenfalls in einem lauten Ton, da der Laster nicht weit von uns zwar zum Stehen gekommen ist, aber immer noch den Motor laufen lässt.
„Ja“, antworte ich ihr.
„Ja, die bin ich“, sagt sie.
„Du kennst mich nicht mehr?“, frage ich ein wenig irritiert. „Nein. Woher kennen wir uns?“, fragt sie.
„Nun, ich habe dich erst ein einziges Mal gesehen, das heißt eigentlich schon oft, aber ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, ich …“
„Was möchten Sie denn sagen? Ich verstehe gerade nicht, worum es geht“, sagt sie.
„Nun ja, vielleicht ist es doch schon zu lange her. Ich habe mich äußerlich ja auch verändert.“
„Was möchten Sie denn sagen?“, fragt sie mich und muss dabei wieder laut sprechen, da der Lastwagen wieder an uns vorbeifährt.
„Ich bin Noah Hillings und arbeite gerade in Vancouver bei der Finance-Comp“, rufe ich ihr entgegen.
„Bei Erlington?“, fragt sie bei dem lauten Lärm und ich verstehe so viel, dass sie mich nochmals gefragt hat, ob ich bei FinanceComp arbeite.
„Ja, genau, bei FinanceComp“, sage ich ihr lautstark als der Laster direkt neben uns steht.
„Ja, Erlington kenne ich“, sagt sie.
„Also kennst du auch mich?“, frage ich wieder.
„Ja, wie gesagt, den kenne ich. Und was kann ich jetzt für Sie tun?“, fragt sie. Ihr Verhalten gegenüber mir ist sehr merkwürdig, da sie die ganze Zeit über so tut, als habe sie mich nie zuvor gesehen, obwohl sie zugibt, dass sie weiß, wer ich bin. Vielleicht ist sie sehr wütend auf mich oder hat mich die ganze Zeit über versucht zu vergessen. Sie scheint ganz nett zu sein und ich strenge mich an, mich wieder an sie zu erinnern, vor allem meine Gefühle für sie wieder zu entdecken.
„Vielleicht sollten wir einfach mal über alles reden“, sage ich ihr, endlich in normaler Lautstärke, da der Lastwagen nun weg ist.
„Sollten wir?“, fragt sie mich verwundert.
„Und worüber?“, möchte sie wissen.
Ich merke, dass sie eigentlich schon längst mit mir abgeschlossen hat.
„Es ist viel passiert, das ist mir klar. Aber was hätte ich denn tun sollen?“
„Hören Sie mal“, sagt sie und ihre Ausdrucksweise verletzt mich.
„Wieso siezt du mich?“, frage ich ein wenig wütend.
„Also, wir sind zwar in Kanada, aber immerhin sprechen wir beide Deutsch, oder? Ist es in Deutschland nicht mehr üblich, dass sich Fremde siezen?“, möchte sie wissen und für einen Moment bleibt mir die Sprache weg.
„Fremde? Ich weiß, du bist mir
Weitere Kostenlose Bücher