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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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aber das war immer nur Angst gewesen. Jetzt aber fühlte ich regelrechte Panik in mir aufsteigen, ein Gefühl der Verzweiflung, das in mir hochschwappte wie eine überbordende Woge. Seit mir klargeworden war, daß die Raumstation überfallen wurde, war ich auf diesen Moment gefaßt gewesen, in dem die NIPPON geentert wurde – aber ich hatte, ohne über diese Vorstellung weiter nachzudenken, damit gerechnet, daß wir von einer Art militärischer Einheit besetzt würden, von olivgrün uniformierten Guerilleros oder dergleichen.
    Dieser Mann aber, der da langsam kopfüber aus der Schleuse glitt, sich nach allen Seiten umsehend und einen Revolver mit großem Schalldämpfer schußbereit in der Hand haltend – dieser Mann war ein Psychopath, wenn ich jemals einen gesehen hatte. Sein Kopf glich einem Totenschädel. Die Wangen und Schläfen waren eingefallen, als zehre ihn etwas aus, und die Haut glänzte krankhaft bleich und feucht.
    Sein Haar war lang und ungepflegt und klebte ihm in wirren, fettigen Strähnen am Schädel. Und in seinen tiefen, unsteten Augen glühte mühsam gebändigter Wahnsinn, lauerte nackte Mordlust. Das, so schoß es mir durch den Kopf, war jemand, dem es Vergnügen bereitete zu töten, der es genoß, wenn Metall klatschend in wehrloses Fleisch einschlug. Vielleicht gab es nichts sonst, das ihm Vergnügen bereitete. Er sah sich um, als fiebere er dem ersten Anlaß entgegen, von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Sogar Sakai schien etwas Angst vor diesem dämonischen Spießgesellen zu haben.
    Er glitt vollends aus der Schleuse und streckte die freie Hand ungeschickt nach einem Griff aus, um sich umzudrehen. Ganz offensichtlich hatte er keine Weltraumerfahrung, und die Schwerelosigkeit, vielleicht in Verbindung mit dem Streß, schien ihm zu schaffen zu machen. Mühsam glitt er neben Sakai und nickte ihm zu.
    Der nächste Kopf erschien in der Schleuse: ein blonder, kurzgeschorener Schädel, aus dem sich zwei himmelblaue, aber ansonsten seltsam stumpfe Augen gleichgültig umsahen. Der Besitzer dieser Augen war ein Hüne, ein Schrank von einem Mann, und er trug keine Waffe, sondern einen metallenen Kasten unter dem Arm, aus dem einige bunte Kabel wie seltsame Schlangen herausragten. Auch ihm bereitete es Schwierigkeiten, sich zu orientieren, und er bewegte sich mit ungeschlachten, hölzernen Bewegungen.
    Die Raumanzüge, die die beiden trugen, fielen mir auf. Die Helme hatten sie abgenommen, und sie trugen auch keine Versorgungstornister – aber jeder von ihnen hatte einen Knopf im Ohr und ein Mikrophon an einem dünnen Bügel vor dem Mund, und beides war mit einer klobigen Sprechfunkeinheit verbunden, die ihnen im Nacken saß, gleich hinter der Manschette, auf der der Helm aufgesetzt wurde. Ich glaubte darin russische Modelle zu erkennen und fragte mich, was das wohl über die Herkunft der Piraten verriet.
    Der Totenkopf gab Sakai einen Wink. Mit einer unangenehmen, heiseren Fistelstimme befahl er: »Zeig Sven, wo er den Sender anschließen muß.«
    Sakai nickte, und ich hatte den Eindruck, daß er erleichtert war, nicht länger in der Nähe seines ungepflegten Kompagnons sein zu müssen. Bereitwillig glitt er vor dem blonden Riesen in die Zentrale.
    Dann winkte der Totenkopf Moriyama und mir mit seiner überdimensionalen Waffe zu. »Los, ihr beiden, rein mit euch.«
    Er sprach Englisch mit einem deutlichen deutschen Akzent. Ich war ein paar Monate in Deutschland stationiert gewesen, 1989, kurz vor dem Fall der Mauer – lange genug, um diesen Akzent zu erkennen. Und lange genug, gottlob, um auch die Deutschen kennenzulernen, was mich in diesem Moment vor unzutreffenden Verallgemeinerungen bewahrte. Dieser Mann schien mir eher das Ergebnis eines genetischen Experiments zu sein, dessen Ziel die Vereinigung der schlechtesten Eigenschaften der ganzen menschlichen Rasse in einer einzigen Person gewesen sein mußte.
    Moriyama und ich folgten dem Wink sofort und ohne Zögern. Keiner von uns hatte den Eindruck gewonnen, daß dieser Mann uns ein zweites Mal auffordern würde.
    Als wir durch das Schott, hinter dem immer noch Tanaka verharrte, um es offenzuhalten, auf die Brücke schwebten, machten sich Sakai und der Blonde bereits am Kommunikationspult zu schaffen. Der Mann, den Kollege Schrumpfkopf Sven genannt hatte, schabte mit einem Schraubenzieher die Reste eines unserer eigenen Sender aus einem der offenstehenden Schächte – das, was das Plastikthermit von ihm übriggelassen hatte –, wohl um Platz zu

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