Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
verstehen kann, warum sich alle immer streiten, wenn ich da bin. Die Einzige, die während dieser schweren Zeit zu mir hält, ist meine große Schwester Bettina. Sie ruft mich immer wieder an und bringt mich geduldig davon ab, meiner Familie im Zorn endgültig den Rücken zuzukehren.
In einer im Umland von Stade gelegenen Diskothek, die ich an meinen freien Wochenenden manchmal besuche, fällt mir eine attraktive Frau besonders auf. Ich habe sofort den Wunsch, sie kennenzulernen. Ihre Art, sich zu kleiden und zu bewegen, der lebendige, strahlende Ausdruck in ihrem Gesicht, alles sagt mir, dass sie eine Frau von Welt ist, die sich aus irgendeinem Grund in diese Dorfdisco, die auch noch TaTöff heißt, verirrt haben muss. Eine auffallend schöne, zierliche blonde Hanseatin mitten auf dem platten Land. Natürlich zieht sie nicht nur meine Blicke auf sich. Ich beobachte, wie ständig irgendwelche Burschen um sie herumscharwenzeln und versuchen, sich ihr aufzudrängen. Das scheint sie mit Humor zu nehmen und es gelingt ihr, sich auf charmante Art der Kerle zu erwehren. Zum Glück erweist sie sich also kein bisschen nordisch unterkühlt, wie ich zunächst befürchtet habe. Etwas unbeholfen spreche ich sie an, rechne mit einer Abfuhr. Doch irgendwie gelingt es mir, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich erfahre, dass sie Jana heißt und Physiotherapeutin ist. Aus Sorge, sie zu verschrecken, sage ich ihr an diesem Abend lieber noch nicht, dass ich Soldat bin. Da ich aber auch nicht lügen möchte, erwähne ich nur, dass ich gelernter Koch bin und auch eine Ausbildung zum Fitnesstrainer gemacht habe. Ich scheine ihr genauso zu gefallen wie sie mir, denn wir treffen uns fortan täglich und ich ziehe bereits zwei Wochen später zu ihr in die Wohnung.
Jana ahnt bald, dass etwas mit mir nicht in Ordnung ist, weil ich im Schlaf stets sehr unruhig bin und ganz offensichtlich schlecht träume. Oft wacht sie dadurch sogar auf, beobachtet und weckt mich, um mich aus einem Albtraum zu erlösen. Ich bin dann häufig schweißgebadet und brauche einige Augenblicke, um zu realisieren, wo ich bin. Es vergeht dennoch einige Zeit, bis ich ihr nach und nach von all den Dingen erzähle, die mich seit meinen Auslandseinsätzen so massiv belasten. Ich habe Angst, sie zu überfordern und damit zu verschrecken, wenn ich alles auf einmal offenlege. Jana ist aber viel verständnisvoller, als ich zu hoffen gewagt habe, und akzeptiert mich trotz meiner PTBS-Erkrankung. Sie liebt mich und schätzt meine guten Eigenschaften. Ihr gefällt auch, dass ich meine Probleme offensiv angehe, und sie unterstützt mich dabei, indem sie mir Halt und Ruhe gibt. Leider kann Jana mir den Ärger, den ich durch das ständige Hin und Her mit den Behörden habe, nicht abnehmen. Immer wieder gibt es beispielsweise Gezerre um Gutachten, mit denen meine bereits anerkannte Wehrdienstbeschädigung erneut auf den Prüfstand gestellt wird.
Wenige Monate nachdem Jana und ich ein Paar wurden, bekomme ich Post von der Wehrbereichsverwaltung. Es ist die im Zwei Jahres-Turnus eintreffende, standardisierte Aufforderung, mich von einem Bundeswehrmediziner begutachten zu lassen. Vorsorglich werde ich in dem Schreiben auch gleich darauf hingewiesen, dass man mir die Wehrdienstbeschädigung absprechen kann, wenn ich mich nicht untersuchen lasse. Diesmal soll ich mich bei einem Dr. Zimmermann im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin einfinden. Bereits Wochen vor der Begutachtung reagiere ich zunehmend gereizt auf meine Umwelt. Durch die posttraumatische Belastungsstörung werden ohnehin ständig Stresshormone ausgeschüttet. Wenn etwas Aufwühlendes dazukommt, gerate ich schnell in einen Zustand äußerster Anspannung und Wachheit. Trotz der Erschöpfung, die stets am folgenden Tag einsetzt, kann ich mich nicht zur Ruhe zwingen, um den nötigen, erholsamen Schlaf zu finden. Eine Woche vor dem Termin stehe ich bereits völlig entnervt neben mir.
Dennoch kümmere ich mich rechtzeitig um eine Unterkunft, da ich vermeiden will, dass es bei der Unterbringung von Idor Komplikationen gibt. Ich kann ihn während der einen Woche, die ich im Bundeswehrkrankenhaus bleiben soll, nicht in meiner Diensthundeeinheit lassen. Der Ranger hat inzwischen einen anderen Dienstposten und der neue Zugführer scheint die angeordnete Untersuchung für mein Privatvergnügen zu halten. Er sperrt sich jedenfalls, einen der Hundeführer damit zu beauftragen, Idor für die Zeit zu versorgen. Ich ergreife also selbst die
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