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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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überlebt.
    Ich nehme meinen Tinnitus jetzt lauter wahr als sonst. Es ist inzwischen mein untrügliches Anzeichen für Stress. Dennoch folge ich ihm wortlos mit verkniffenem Gesicht in das Geschäftszimmer, wo ich unterschreiben soll, dass ich heute hier anwesend war. Die Soldaten dort geben sich wortkarg und wollen sich an ein Telefonat mit mir nicht erinnern können. Der Oberstabsarzt droht selbstherrlich damit, dass er mein Verhalten an meinen Disziplinarvorgesetzten weitermelden und auch die Wehrbereichsverwaltung in Kenntnis setzen wird. Bevor ich gehe, schaue ich ihm noch einmal tief in die Augen. Er weicht meinem Blick feige aus.
    Im Auto sitzend versuche ich mich daran zu erinnern, was in den letzten Minuten passiert ist und wie ich überhaupt in mein Auto gekommen bin. Es gelingt mir nicht. Ich schwitze an den Händen und mein Körper zittert. Ich muss schreien und fange an zu weinen. Wieso hat der mich gerade so mies behandelt und wie soll ich das jetzt in meiner Einheit erklären? Der Spieß der Ausbildungskompanie hat mich noch nie freundlich begrüßt (»Das ist der Müller, der aus dem Hundezug geschmissen wurde!«) und der Kompaniechef kennt mich vermutlich gar nicht. Die hat es auch nie interessiert, dass ich mich als Stabsunteroffizier selbst um Dinge wie die Anerkennung meiner Wehrdienstbeschädigung, Gutachten, Kriegsopferrente usw. kümmern muss. Ich bin nun wieder ganz auf mich allein gestellt und weiß nicht, was ich tun soll. Die Fahrt nach Hause wird für mich zu einer Tortur. Mehr als einmal habe ich den Gedanken, mich in voller Fahrt gegen einen Brückenpfeiler zu setzen. Wiederholt muss ich einen Rastplatz anfahren und einige Minuten anhalten, um mich abzuregen. Lancer kann ich seit Tagen telefonisch nicht erreichen. Ich hätte mit ihm gerne darüber gesprochen, was mir eben widerfahren ist. Er würde es mir ganz offen sagen, wenn er glaubt, dass ich einen Fehler begangen habe, mir aber auch den Rücken stärken, wenn ich im Recht bin. Da mich das Ereignis emotional so aufgewühlt hat, kann ich überhaupt nicht objektiv einschätzen, wo meine Schuld an der Eskalation liegt. Statt Hilfe zu bekommen, ernte ich überall nur Unverständnis und Feindseligkeit.
    Zurück in meiner Einheit, wundert sich niemand über meine schnelle Rückkehr. Es interessiert einfach keinen, wie meine Begutachtung gelaufen sein mag. Im Gegenteil, da einer der Ausbilder erkrankt ist, werde ich gleich wieder in den Dienstalltag eingebunden. Als ich abends zu Hause die Kopie des in meiner Wut schnell unterzeichneten Schreibens zu meinen Unterlagen hefte, lese ich, dass ich mich mit meiner Unterschrift auf eigenen Wunsch entlassen und eine stationäre Begutachtung abgelehnt habe.
    Meine Suizidgedanken und Angstzustände kommen immer öfter, dazu neuerdings starke Magenschmerzen. Immer wieder erscheine ich zu spät zum Dienst, weil ich mich schon morgens zu schwach und unausgeschlafen fühle, um aufzustehen. Als ich Lancer endlich erreiche, gibt er mir den Rat, mich bei Oberfeldarzt Pellnitz zu melden. Am 11. Februar 2008 fahre ich zum Bundeswehrkrankenhaus nach Bad Zwischenahn. Oberfeldarzt Pellnitz hat mich und auch die anderen Überlebenden vom 6. März schon 2002 und 2003 auf PTBS untersucht und mir einen Schädigungsgrad von zuerst 70 Prozent und später 40 Prozent bescheinigt. Er ist mir gleich sympathisch gewesen, wie er da in seinem Büro im Kampfanzug saß und sich genüsslich eine Zigarette ansteckte. Wir reden über meine Aggressionen, meine Schlafstörungen, dass ich kaum noch Freunde habe, mit meiner Familie gebrochen habe und dass mich mein Hund zum ersten Mal gebissen hat. Ein Diplompsychologe, der mich anschließend im Einzelgespräch befragt, kommt zu der Auffassung, dass sich mein Zustand seit 2003 erheblich verschlechtert hat. Man spricht inzwischen von einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, die sich chronifiziert hat. Pellnitz erstellt erneut ein Gutachten und bewertet darin meinen Grad der Schädigung mit mindestens 50 Prozent. Er bietet mir beim Abschied an, mich jederzeit bei ihm melden zu dürfen, wenn es mir schlecht geht und ich Hilfe brauche.
    Sein Gutachten schicke ich zusammen mit einem Antrag auf Anerkennung der Verschlimmerung meiner PTBS an die Wehrbereichsverwaltung. Von dort bekomme ich die schriftliche Antwort, dass das Gutachten von Oberfeldarzt Pellnitz nicht anerkannt wird. In meiner Verzweiflung fahre ich ins Bundeswehrkrankenhaus nach Hamburg. Ich erhoffe mir dort

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