Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Hilfe, weil Pellnitz inzwischen in Pension gegangen ist. Ich treffe auf einen sehr ruhigen und mir sympathischen Arzt. In einem kurzen Gespräch erkläre ich ihm meine Situation und wir vereinbaren eine ambulante Therapie. Er nimmt Rücksicht darauf, dass ich gerade in einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme stecke. Als Koch kann ich nicht mehr arbeiten. Ich weiß, dass ich dem Stress und den langen Arbeitszeiten nicht mehr gewachsen wäre. Daher nehme ich die Chance wahr, an der Bundeswehrfachschule in Hamburg eine Ausbildung zum Erzieher zu machen. Mein Ziel ist es, anschließend im Bereich der Erlebnispädagogik zu arbeiten und mich womöglich damit selbstständig zu machen.
Meiner Freundin Jana, mit der ich inzwischen verlobt bin, erzähle ich von der Notwendigkeit einer ambulanten Therapie. Sie bestätigt mich darin, allein schon weil sie hofft, dass dadurch die Schlafstörungen und Albträume gelindert werden. Sie hat oft genug mitbekommen, wie ich mich im Schlaf gewälzt und auch geschrien habe. Jana ist ausgebildete Physiotherapeutin und wenn sie mich nach Feierabend manchmal massiert, sagt sie mir, dass meine Verspannungen, gerade im Rücken, sie an ihre Wachkomapatienten erinnern.
Ich bin sehr aufgeregt vor meiner ersten Therapiesitzung. Herr Eisenlohr bittet mich herein, ich setze mich. Ich berichte ihm offen von meiner Situation, noch nie habe ich mit jemandem so lange und ausführlich über meine Erfahrungen und Erlebnisse geredet. Ich habe auch das Gefühl, dass mir jemand wirklich zuhört. Zwischendurch verliere ich einige Male den Faden, aber Herr Eisenlohr gibt mir die Zeit, dass ich in Ruhe weiterdenken und erzählen kann. Er schreibt im Anschluss eine Überweisung zum MRT, um zu überprüfen, ob meine starke Vergesslichkeit organische Ursachen haben kann. Bei der Explosion hatte ich einen starken Schlag nicht nur in den Rücken bekommen, sondern auch an den Kopf.
Die erste Sitzung fast acht Jahre nach der Traumatisierung tat mir unglaublich gut. Endlich gibt es da jemanden, bei dem ich alles abladen kann. Ich bin überglücklich und habe endlich Hoffnung, dass ich einmal wieder der Robert von früher sein werde. Nach langer Zeit genieße ich jetzt zum ersten Mal wieder bei voll aufgedrehtem Autoradio die Fahrt nach Hause und der Hamburger Berufsverkehr kann mir diesmal meine Stimmung auch nicht verderben. Auch Jana hofft sehr, dass wir positiv in die Zukunft schauen können. Abends feiern wir diesen neuen Abschnitt bei unserem Lieblings-Chinesen. Idor haben wir mitgenommen und selbstverständlich bekommt er einige Köstlichkeiten von mir unter den Tisch gereicht.
Zur zweiten Sitzung komme ich wesentlich entspannter und wieder werde ich sehr freundlich von Herrn Eisenlohr begrüßt. Ich beginne nun anhand eines Zeitstrahls aufzuschreiben, wann welche Erlebnisse für mich stark belastend waren. Dazu beschreibe ich sie ihm möglichst genau. Einige Male muss ich unterbrechen, weil ich Rotz und Wasser heule. Zu viele Emotionen kommen hoch und geraten durcheinander, ich merke, wie ich immer unkonzentrierter werde. Herr Eisenlohr beendet die Sitzung. Er wirkt angespannt, scheint mir etwas sagen zu wollen. Dann erklärt er mir, dass er nach Berlin an das neue Traumazentrum versetzt wird. Was für ein Schlag! Mir wird schlecht, ich muss mich fast übergeben. Gerade jetzt lässt er mich fallen? Herr Eisenlohr spricht beruhigend auf mich ein und erzählt mir, dass er bereits mit einem Herrn Barrel gesprochen habe, ebenfalls Diplompsychologe hier im Bundeswehrkrankenhaus, er würde mich als Patient übernehmen. Gemeinsam gehen wir zu Herrn Barrel und ich werde ihm vorgestellt. Er erhält meine inzwischen sehr dicke Krankenakte und wir vereinbaren gemeinsam einen Termin.
Ich bin wieder hinund hergerissen. Meine Gefühle auf dem Nachhauseweg fahren Achterbahn mit mir. Mal bin ich wütend darüber, dass mich Herr Eisenlohr so in den Arsch tritt, dann freue ich mich, dass ich überhaupt weiter behandelt werde. Mir ist bewusst, dass viele Psychopatienten oft lange Wartezeiten für einen Therapieplatz in Kauf nehmen müssen. Zu Hause angekommen, falle ich müde und erschöpft ins Bett.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon schlafe, als ich mit einem lauten Schrei aufwache. In meinem Traum ist die alte Frau vom Dachboden aus ihrem Bett aufgestanden. Sie blutet zwischen den Beinen und kommt langsam, fast schleichend und schweigend auf mich zu. Ich kann die Treppe nicht runtergehen und bleibe wie angewurzelt
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