Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
»Aufbau von Druck dieser Art führt in der Regel eher zu Gegendruck.« Er unterschreibt den Brief selbst mit einem Füllfederhalter. Diese demütigende Behandlung macht mich maßlos wütend. Denen scheint nicht bewusst oder komplett gleichgültig zu sein, wie verzweifelt meine Lage ist. Weil ich den Eindruck habe, ständig nur ignoriert, hingehalten und abgelehnt zu werden, sehe ich mich zu einem Schritt gezwungen, den ich bisher nicht beabsichtigt hatte, und wende mich an die Presse. Lancer war vor dem Oberverwaltungsgericht mit einer Klage auf Gleichbehandlung gescheitert. Nun hat er neben seinen Problemen auch noch mehrere Tausend Euro Anwaltskosten am Hals. Der Vertreter der Bundesregierung erklärte am Tag des Urteils sogar, dass er die Klage vollends verstehe, jedoch könne er wegen fehlender Gesetze nicht helfen. Also wage ich jetzt den Schritt in die Öffentlichkeit.
Stichpunktartig schreibe ich einzelne Erlebnisse auf und sende sie als E-Mail an das Stader Tageblatt. Ich muss nicht lange warten, bis ich einen Anruf des Redakteurs Karsten Wisser bekomme. Wir treffen uns bei mir zu Hause. Jana ist davon überhaupt nicht begeistert, sie möchte unser gemeinsames Leben nicht in die Öffentlichkeit gebracht sehen. Karsten Wisser versichert, dass er keinen reißerischen Artikel schreiben möchte, sondern sehr sorgfältig vorgehen wird. Bereitwillig erzähle ich ihm meine Geschichte.
Der Artikel erscheint am 17. Oktober 2009 und erhält die Überschrift »Die vergessenen Soldaten von Kabul«. Er geht über eine ganze Seite. Der Zeitungsbericht schlägt hohe Wellen. Lancer und ich werden von der Bundestagsabgeordneten Dr. Martina Krogmann zu einem Gespräch in das Stader CDU-Büro eingeladen. Auch Karsten Wisser, der durch seine Recherche neue Informationen zum Soldatenversorgungsgesetz bekommen hat, ist dabei. Frau Dr. Krogmann sagt uns zu, in Berlin auf unser Schicksal aufmerksam zu machen. Wenig später hat sie mit dem Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung, Thomas Kossendey, gesprochen. Sie bittet um eine Prüfung, warum das neue Soldatenversorgungsgesetz mit einer Stichtagsregelung versehen worden ist. So ist es nämlich geschehen, offenbar willkürlich: Bei der Abstimmung konnten sich einige noch an den Hubschrauberabsturz im Dezember 2002 in Kabul erinnern. Also setzte man das Datum der Neuregelung zur Versorgung von Einsatzsoldaten auf den 1. Dezember 2002. Wir Versehrten vom 6. März 2002 wurden ganz einfach vergessen. Dabei sind wir als erste deutsche Truppe im Afghanistaneinsatz gewesen und schon von diesem Kontingent kehrten Soldaten in Särgen oder schwer verwundet nach Deutschland zurück.
Es folgen noch zwei Tageblattartikel und die Anfragen von Zeitungen und TV-Sendern häufen sich. In meiner alten Einheit in Seedorf distanzieren sich nun immer mehr Kameraden von mir. Vermutlich sehen sie in mir jetzt einen »Nestbeschmutzer« oder einen, der die Presse nur für sein persönliches Schicksal einspannt. Dabei kämpfe ich für alle im Einsatz versehrten Soldaten, damit sie genauso gut versorgt werden wie diejenigen, die später betroffen und dadurch erst von der Stichtagsregelung erfasst sind. Schon in der Grundausbildung haben wir eingetrichtert bekommen, nicht mit der Presse zu sprechen, sondern stets an den Presseoffizier zu verweisen. Nun habe ich das Tabu gebrochen.
Ich lese, dass es inzwischen zivile Organisationen gibt, die sich für Soldaten mit Problemen engagieren, und rufe bei einer Dame an, die nach dem Tod ihrer Tochter Jenny auf dem Schulschiff Gorch Fock die Jenny-Böken-Stiftung gegründet hat. Sie wiederum verweist mich auf Oberstleutnant a. D. Timmermann, der mir vielleicht weiterhelfen kann. Ihm darf ich meine Unterlagen zukommen lassen. Er ist einsatzerfahren und versteht meine Problematik. Er klingt sehr kämpferisch und ich habe endlich wieder das Gefühl, auf Unterstützung hoffen zu können.
Nach kurzer Zeit bekomme ich erneut die Aufforderung, mich eine Woche stationär begutachten zu lassen. Die Versorgung meines Diensthundes müsse ich selbst regeln. Das hat schon einmal fast zu einem Eklat geführt, aber da mir keine bessere Lösung einfällt, bin ich in einer misslichen Lage. An der Begutachtung führt kein Weg vorbei, weil mir sonst die Wehrdienstbeschädigung aberkannt wird. Da ich nicht mehr im Diensthundezug aktiv bin, kann ich von der Seite nicht auf Hilfe hoffen. Ich entscheide mich also, Idor in die Obhut meiner Eltern zu geben, obwohl ich damit
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