Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
bewusst gegen die Anordnung verstoße, dass Diensthunde zur Betreuung nur an ausgebildete Hundeführer abgegeben werden dürfen. Es ist eine Versicherungsauflage, denn ein Diensthund in falschen Händen stellt potenziell eine große Gefahr dar. Mein Vater erklärt sich freundlicherweise dazu bereit, Idor für die eine Woche zu versorgen. Er nimmt sich dafür sogar Urlaub. Über die Konsequenzen für mich, wenn Idor in der Zeit jemanden beißt, denke ich lieber nicht nach. Ich weiß, dass Idor bei meinen Eltern in guten Händen ist, und hoffe einfach, dass nichts Schlimmes passiert.
Zeitgleich erhalte ich von Frau Dr. Krogmann und Staatssekretär Kossendey eine Einladung. Sie bitten mich, ihnen in Berlin von meiner persönlichen Situation und den Ursachen zu berichten.
In Berlin treffe ich wieder auf den Stabsarzt, der mich erniedrigend behandelt hat. Er begrüßt mich mit dem Satz: »Ah, das ist ja der Hundeführer, der schon mal hier war.« Während einer Visite steht er mit sechs weiteren Ärzten vor meinem Bett und fragt mich, wie es mir geht. Ich möchte gerne aufstehen, doch er sagt, ich solle liegen bleiben. Eine Taktik, um mit mir nicht auf Augenhöhe sprechen zu müssen. Ich komme mir vor, als hätte ich etwas verbrochen. Ruhig erkläre ich ihm, dass es mir schlechter gehe und ich deshalb hier sei. Er möchte das im Detail wissen, seine bohrenden Fragen werden immer energischer. Als ich ihm berichte, dass ich inzwischen Schulden habe und nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, fragt er mehrmals indiskret nach der Höhe meiner Schulden und sagt, dass auch Leute verschuldet sind, die keine PTBS haben. Diese Art der Befragung kenne ich vom Combat Survival und wenn wir jetzt allein im Raum wären, würde ich ihm direkt eine reinhauen. Dann sagt er noch, dass er an den anerkannten 30 Prozent Schädigungsgrad festhalten werde. Wie geht das denn bitte? Er hat mich noch gar nicht untersucht und fällt unfundiert bereits sein Urteil. Ohnehin frage ich mich, woran man festmachen will, ob ich eine posttraumatische Belastungsstörung habe oder nicht. Abgesehen von Jana bekommt ja keiner mit, wenn es mir schlecht geht, weil ich mich dann nicht unter Menschen begebe. Nach der Visite kichert mein Bettnachbar zu mir rüber, dass der Stabsarzt mich wohl auf dem Kieker hat.
Mein Zimmergenosse ist stets fröhlich, ich erfahre, dass wir aus ganz unterschiedlichen Gründen hier sind. Er möchte sich heimatnah versetzen lassen und will dies mit einem psychologischen Gutachten erwirken. Ganz offen sagt er mir, dass er hier auf der Station jemanden kenne und dass das sein Vorteil sei. Ruhig höre ich ihm zu und überlege, wie ich ihm klarmachen soll, dass er ein sogenanntes Kameradenschwein ist. Viele traumatisierte Soldaten müssen lange auf einen Platz zur Begutachtung oder Therapie warten und dieser Typ will sich einfach aus Bequemlichkeit versetzen lassen.
Die Begutachtung läuft wie immer ab. Tagsüber fülle ich Fragebogen aus und langweile mich zwischendurch auf meinem Zimmer. Während eines Computertests, bei dem ich mehr als 100 Fragen beantworten muss, fange ich an zu weinen. All diese Fragen, die ich im Multiple-Choice-Verfahren beantworten muss, zeigen mir auf, dass es nicht gut um mich steht. Es sind Fragen wie: »Haben Sie schon an Suizid gedacht?« – »Wenn ja, wie oft?« und »Träumen Sie schlecht?« – »Wenn ja, wie häufig?« Ich sehe mich in diesem Augenblick nicht als kranken Menschen, sondern als Laborratte. Mit jeder Frage fühle ich mich intensiver in den Kosovo versetzt und sehe dort wieder die alte Frau auf dem Dachboden vor mir liegen. Ich höre die Schreie der Kameraden vom 6. März und schmecke das Blut. Mein Herz rast, ich schwitze am ganzen Körper. Ich stehe auf und renne auf die Toilette. Dort muss ich mich übergeben und bekomme einen Weinkrampf. Ich bin allein, niemand ist hier, der mich so sieht. Dann gehe ich zurück in den Testraum und drücke apathisch irgendwelche Antworten. Ich will, dass es endlich aufhört.
Bei einer weiteren Untersuchung durch eine Traumtherapeutin wird mir mitgeteilt, dass sich meine Konzentrationsfähigkeit enorm verschlechtert habe. Sie ist beeindruckt, dass ich mehrere traumatische Erlebnisse durchlitten habe, und blickt mit Skepsis auf den langen Zeitraum seit dem Kosovoeinsatz. Ihrer Erfahrung nach könne man mich nicht mehr therapieren, sondern nur noch stabilisieren. Das reißt mir endgültig den Boden unter den Füßen weg und zum ersten Mal nehme ich
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