Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Außenposten, Adlerhorst genannt, zu fahren. Zur Eigensicherung begleitet mich wie üblich ein Schütze, der in der Dachluke des Lkw steht. Der Oberfeldwebel lässt es sich nicht nehmen, auf der ersten Fahrt selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Uns steht ein Zweitonner, dessen Windschutzscheibe beschädigt ist, zur Verfügung. Als ich die Fahrertür öffne, wundere ich mich, wie viel Kraft ich dazu aufwenden muss. Die Tür scheint mir dicker und schwerer zu sein als gewöhnlich. Rüstmann, der in diesem Moment hinzukommt, sieht mir die Verwunderung an. »Der Zweitonner hat eine gepanzerte Fahrerkabine.« Bisher wusste ich nicht, dass es so etwas gibt.
Ich schaue mich im Wagen nach den Fahrzeugpapieren um. Als Kraftfahrer weiß ich, dass man auch im Einsatzland jede Fahrt genau eintragen muss. Da ich die Papiere nicht sofort finde, fragt mich der Oberfeldwebel, wonach ich suche. Auf meine Antwort entgegnet er mir entgeistert: »Sag mal, was hast du denn geraucht? Die Jungs an der Grenze warten auf ihr Essen. Motor an und los jetzt!« Ich verstehe. Diesem Mann ist gesunder Menschenverstand also wichtiger, als sich sklavisch an Vorschriften zu halten. Damit kann ich leben. Wir verstehen uns überhaupt gut. Wir stellen fest, dass wir beide aus Rostock kommen und sogar im gleichen Jahr, 1977, geboren sind. Auf der Fahrt aus dem Lager heraus meldet Rüstmann unsere Fahrt über Funk bei der OPZ, der Operationszentrale, an. Dadurch wissen sie, dass wir uns jetzt auf der Duck Road, dem Funknamen für die Landstraße Richtung Morini, befinden und innerhalb der nächsten 30Minuten mit einem zweiten Funkspruch von uns zu rechnen ist, wenn wir den Grenzposten erreicht haben. Der Lkw ist aufgrund der nachträglichen Panzerung sehr schwerfällig und neigt bei der kleinsten Lenkbewegung dazu, auszubrechen. Die Windschutzscheibe ist nicht mehr ganz durchsichtig und die Klimaanlage ist auch defekt. Nicht einmal die Seitenfenster lassen sich zum Lüften öffnen. Ich bin richtig genervt von der Kiste, zumal ich mit der Bristolweste samt Genitalschutz keine Möglichkeit habe, bequem Platz zu nehmen.
Oberfeldwebel Rüstmann hingegen scheint die Fahrt zu genießen. Auf dem Beifahrersitz sehe ich nur seine Beine. Den Oberkörper hat er durch die Dachluke gesteckt und eine gemütliche Haltung in der Drehringlafette des Maschinengewehrs eingenommen. Er ruft mir immer wieder begeistert irgendetwas zu, was ich leider nicht verstehen kann. Plötzlich dringt ein abscheulicher Geruch ins Innere des Fahrzeugs, der immer intensiver wird. Rüstmann verzieht ebenfalls angeekelt das Gesicht. Er weist mich an, rechts ranzufahren. Ich stelle den Motor ab, wir steigen aus. Schräg gegenüber liegt ein totes Pferd an der Straße. Der Kadaver muss schon seit einiger Zeit in der Sonne liegen, denn die Wangen und Extremitäten sind eingefallen und wirken ausgetrocknet. Der Rumpf ist prall aufgebläht. Als mich der Oberfeldwebel darauf hinweist, erkenne ich bei genauem Hinsehen den Rand einer vergrabenen Panzermine in der sandigen Grünfläche. Der Straßenrand wurde vermint. Die Kosovo-Albaner, die versuchten, dem serbischen Kessel über die Grenze nach Albanien zu entkommen, haben diese Hauptstraße genutzt. Sicherlich waren einige so unvorsichtig, den Autos auf der schmalen Straße auszuweichen, und sind dabei in ihr Verderben gelaufen. Das Pferd ist wohl auf eine Mine getreten. Ich betrachte das verwesende Tier. Die Beine sind noch dran. Eine Panzermine wird es nicht gewesen sein, eher eine kleine Antipersonenmine. Es hat bestimmt gedauert, bis das arme Vieh tot war.
Unter der Bauchdecke bewegt sich plötzlich etwas. Es zappelt kurz und heftig, und auf einmal schießt ein Hund aus dem Pferdebauch hervor. Den Brechreiz, der mich befällt, unterdrücke ich. Laut Rüstmann haben wir Glück gehabt, denn das Gewicht des Hundes genügt, um eine Puckmine auszulösen. »Die umliegenden Steine, die bei einer Explosion beschleunigt werden, sind gefährliche Geschosse. Wenn dir so ein Vieh zu nahe kommt, dann erschieße es lieber«, meint der Oberfeldwebel. Ich muss an Lolek und Bolek denken. So haben wir die beiden Hunde genannt, die uns während der Wache zugelaufen sind. Sie begleiten uns bei unseren Streifengängen durch das Lager und sind uns dabei sehr ans Herz gewachsen. Sie sind uns gegenüber sehr zutraulich, auf die Einheimischen reagieren sie allerdings mit Knurren und Zähnefletschen. Ich will hier keinen Hund erschießen müssen.
Nach diesem kurzen
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