Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Zwischenhalt erreichen wir wenige Minuten später den Adlerhorst und liefern die Thermobehälter mit dem warmen Essen ab. Dieser Stützpunkt war zuvor eine Grenzstation, die von serbischen Einheiten besetzt war. Das Gebiet war noch wenige Wochen zuvor zwischen Albanern und Serben besonders hart umkämpft. Hier hätte die UÇK von Albanien aus einen Einfall in serbisches Hoheitsgebiet wagen können. Die stationierten serbischen Truppen hatten sich daher an geeigneten Geländeabschnitten besonders gut verschanzt und erst am 12. Juni 1999auf Druck unseres Brigadegenerals Helmut Harff den Grenzposten innerhalb von 30Minuten räumen müssen. Mehr Zeit wollte ihnen »der Habicht« nicht gewähren. Der General ist ebenfalls Fallschirmjäger und für seine harsche, geradlinige Art bekannt. Nun gehört diese Region zum Aufgabenbereich der 3., einer Kampfkompanie des Fallschirmjägerbataillons 313.
Das Lager liegt südwestlich von Prizren. Ein herrlicher smaragdgrüner Bergsee bildet auf der Seite zum Westen hin eine natürliche Grenze nach Albanien. Östlich schließen steile Felsengebirge den schmalen Gebirgspass ein. Im Südwesten liegt Albanien. Dort endet unser Verantwortungsbereich. Da das gesamte Gelände im Prinzip ein einziges großes Minenfeld ist, leben die meisten der etwa einhundertzwanzig Männer stark beengt auf einem geteerten Basketballplatz, der zu einer Station der serbischen Grenzpolizei gehörte. Die Anlage liegt in einer Senke etwa 300 Meter in Richtung See von dem eigentlichen Kontrollgebäude am Grenzübergang entfernt, in dem der IV. Zug untergebracht ist. Drei Reihen Zelte für jeweils etwa dreißig Mann stehen so dicht aneinander auf der Teerfläche, dass nur eine schmale Gasse zwischen ihnen bleibt. Die Rasenfläche drum herum ist tabu. Ein schmaler, mit Steinplatten ausgelegter Pfad führt durch ein kleines Kräutergärtchen, dessen Pflanzen längst vertrocknet sind, zu einem roten, doppelstöckigen Backsteingebäude. Ein weiterer Pfad führt zu einem kleinen Pavillon. Von hier aus hat man einen wunderbaren erhöhten Ausblick auf den See, dessen Ufer ungefähr 100Meter entfernt ist. Es muss hier einmal richtig schön gewesen sein. Schade, dass ich diesen Ort unter solchen Umständen kennenlernen muss.
Meine Kameraden, die hier ihren Dienst tun, haben keine Zeit, sich an der Landschaft zu freuen. Sie errichten hier alles Nötige, um einigermaßen gut leben zu können, sind bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser allerdings auf Lieferungen aus dem Hauptlager angewiesen. Wenn der Tanklaster gegen Abend mit dem Brauchwasser für den täglichen Bedarf auftaucht, kommen die Männer immer völlig nackt aus den Zelten gelaufen und nutzen die Gelegenheit, sich den Dreck und Schweiß des Tages abspülen zu lassen. Die Fahrer des Tanklasters schließen dazu einen Hochdruckreiniger an und spritzen die Männer wie in einer Autowaschanlage mit dem eiskalten Wasserstrahl ab. Hauptmann Knurr ist ihr Kompaniechef. Er wird heimlich Turtle genannt, weil er mit seinem scharfkantigen, römischen Gesicht und seinem schmalen ledrigen Hals, die aus der gepanzerten Bristolweste herausschauen, an eine Schildkröte erinnert. Wenn er die Weste ablegt, erkennt man, dass er trotz seiner drahtigen Erscheinung einen enorm breiten Rücken und Brustkorb hat. Eine Tätowierung mit dem Zeichen der französischen Fremdenlegion auf der Schulter sorgt für viele Spekulationen, aber niemand wagt es, ihn direkt darauf anzusprechen. Er wirkt unnahbar, taucht überall unerwartet auf und scheint die Aussage, dass ein Soldat nie schläft, sondern nur ruht, zu leben.
Die Jungs hier haben den gleichen Vier-Tage-Rhythmus wie wir, mit dem Unterschied, dass Wache bei ihnen Dienst an der Grenzstation bedeutet. Um die Befriedung des Landes voranzutreiben, sorgen sie dafür, dass keine Waffen mehr in den Kosovo geschmuggelt werden und die UÇK dem Abkommen der Entmilitarisierung nachkommt. Die albanischen Freiheitskämpfer müssen sich von ihren Waffen und allen Symbolen ihrer Organisation trennen. Das durchzusetzen ist ein wichtiger Schritt, um dem täglichen Terror und Morden zwischen den verfeindeten Volksgruppen ein Ende zu bereiten. Noch lodern in Prizren nach Anbruch der Dunkelheit täglich Flammen aus den Häusern in den serbischen Wohnvierteln. Menschen verschwinden spurlos und werden von ihren Hilfe suchenden Angehörigen bei den von der UN dafür eingerichteten Hilfseinrichtungen als vermisst gemeldet. Aus dem Flüchtlingslager
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