Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
im nahe gelegenen Kukes strömen täglich Hunderte Menschen zurück in ihre Heimat. Jeder muss an der Grenzstation kontrolliert werden. Die Bilder gesuchter Kriegsverbrecher beider Parteien hängen im Gebäude am Grenzübergang aus. Darüber wurde mit gelbem Klebeband der Leitspruch der NATO in großen Lettern an die Wand gebracht: »Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit«.
In der Blauen Halle kehrt schnell Ordnung und Regelmäßigkeit ein. An den freien Tagen fahren wir jede zweite Woche in die Brigade. Hier sind Soldaten aller an diesem Einsatz beteiligten Nationen anzutreffen. Wir haben dann alle die Gelegenheit, zehn Minuten in die Heimat zu telefonieren. Allerdings stehen nur wenige Apparate zur Verfügung, sodass man sich oft in eine Schlange von fünfzig oder mehr Personen einreihen und fast eine Stunde auf das kurze Gespräch warten muss. Daher verzichte ich häufig auf meinen Anruf und schreibe lieber Briefe an meine Familie. Die Zeit, während die anderen sich die Beine in den Bauch stehen, verbringe ich lieber in einem der Betreuungsräume. Die Brigade bietet so viel Platz, dass sich jede Nation einen eigenen Erholungsraum einrichten kann. Dort kann man sich ein kühles Getränk und eine Pizza bestellen oder etwas anderes, was man nicht in den Pig-Pott bekommt, sich mit Kameraden unterhalten, die man sonst seltener zu Gesicht bekommt, oder einfach einen Videofilm ansehen. Die Engländer haben sich sogar einen Swimmingpool aufs Dach gebaut.
So vergeht die Zeit hier im Vier-Tage-Rhythmus. Oft weiß ich nicht mehr genau, welchen Wochentag wir eigentlich haben. Wenn der freie Tag auf einen Mittwoch fällt, machen wir ab und zu einen Zwischenstopp auf dem Wochenmarkt in Prizren, wo ich mir gemeinsam mit einigen meiner Kameraden einen Fernseher samt Satellitenschüssel und Receiver zulege. Leider habe ich nicht bedacht, dass ich als Obergefreiter in unserem Zelt am unteren Ende der Rangordnung stehe und meine Fernsehwünsche keine Rolle spielen. Die Fernbedienung bleibt wie ein Zepter fest in der Hand der Oberstabsgefreiten. Um es uns wohnlicher einzurichten, bauen wir aus Holzpaletten Tisch und Stühle. Sogar einen selbst ernannten Friseur haben wir unter uns. Kamerad Ratz hat in weiser Voraussicht seine Schermaschine mitgebracht und sorgt dafür, dass wir auch im Einsatz einen ordentlichen Haarschnitt haben.
An einem dieser 08/15Tage liegen wir während der Mittagspause in unseren Zelten. Ich habe den Soundtrack zu »Full Metal Jacket« in meinen Discman eingelegt. Filme wie dieser haben meine und die Vorstellung meiner Kameraden geprägt, wie es ist, Soldat zu sein. Es läuft gerade »Hello Vietnam« von Johnny Wright, als Limmann mit einem Klappspaten in der Hand in unser Zelt stürmt und »Eine Schlange, eine Schlange!« schreit. Alle springen erschrocken auf, schlüpfen schnell in ihre Stiefel und bewaffnen sich mit einem Klappspaten. Nur Atze Schröder lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, er bleibt liegen und macht eine Bemerkung über die verblüffende Größe der Schlange. Da sie in einem Spalt der Europaletten, die uns als Bodenbelag dienen, verschwunden ist, heben wir die Paletten an und suchen sie. Keiner möchte nachts von einer Giftschlange gebissen werden. Es ist Ratz, der sie entdeckt und mit einem Hieb köpft. Erleichtert betrachten wir das etwa 1,30Meter lange Exemplar und heben das Tier in die Höhe. Es werden Fotos gemacht, auf denen wir wie bei einer Safari posieren. Als ich mich mit der Schlange am ausgestreckten Arm ablichten lasse, windet sie sich völlig unerwartet um mein Handgelenk. Ich bin total entsetzt und schreie auf. Der Druck, den die geköpfte Schlange ausübt, ist sehr stark und schmerzhaft. Während Ratz nur lacht, kommt mir Atze zu Hilfe. Der Veterinär, der für die Hygiene im Lager verantwortlich ist, hat die Aktion in unserem Zelt wohl mitbekommen und lässt sich das inzwischen wirklich tote Tier aushändigen. Wir suchen auch seinen Kopf und geben ihn dem Offizier. Er meint, es könne eine Hornotter sein, eine Vipernart, die eines der stärksten Schlangengifte in Europa besitzt.
Nach und nach wird der AVZ zum festen Bestandteil der operativen Gesprächsaufklärung. Mit den Wölfen und Lkw sind wir immer häufiger stundenlang zu den entlegensten Dörfern unterwegs, auf schmalen Gebirgspfaden, die wohl eher für Maultiergespanne gedacht und stellenweise so schmal sind, dass gerade einmal eine Handbreite zwischen den Lkw-Reifen und einem tiefen Abgrund Platz ist. Die
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