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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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der Kommandeur hinter einer Buschgruppe aus unserem Blickfeld verschwindet, werfe ich einen nervösen Blick zu Zott hinüber. Nun ist es an ihm, Ruhe auszustrahlen: »Keine Sorge, der Alte weiß schon, was er tut. Wir gehen jetzt ganz entspannt hinterher«, sagt er zu mir. Ich atme tief durch – und erstarre. »Zott, stopp!« Er reagiert sofort und friert in der Bewegung ein. Seit seinem Einsatz in Bosnien weiß er, dass das zwischen Leben und Tod entscheiden kann. »Was?«, presst er mit bedrohlichem Unterton zwischen den Zähnen hervor, ohne sich zu mir zu wenden. Mein Blick war an etwas metallisch Glänzendem kleben geblieben. Drei bis vier Meter links von uns ist eine Maiskolbenmine vergraben. Ein Stück weiter vorne ist auch ein kleiner Krater im Boden, da stand bestimmt auch eine. Ich bleibe regungslos stehen und fange an, mit meinem Blick jeden Zentimeter des Bodens vor meinen Füßen abzusuchen. Möglicherweise sind wir unbemerkt mitten in ein Minenfeld gelaufen. In der eigenen Trittspur zurückzugehen, wie einem beigebracht wurde, ist nicht möglich auf dem steinigen Geröllboden, wo kein Fußabdruck zurückbleibt. Die Knie werden mir weich und fangen an zu zittern, der Schweiß rinnt mir noch mehr als sonst von der Stirn. Zott übernimmt die Initiative. »Hör zu! Wir müssen beim Kommandeur bleiben. Die Typen werden sich in der Gegend um ihr Dorf auskennen und am besten wissen, wo es sicher ist. Komm schon.« Obwohl wir uns erst seit einigen Wochen kennen, vertraue ich diesem mürrischen Kerl.
    Wir gehen langsam, bedächtig Schritt für Schritt weiter. Ich versuche genau zu sehen, wo er auftritt, und meine Schritte an die gleiche Stelle zu setzen. Mein Mund ist trocken und meine Kehle schnürt sich zusammen. Ich darf jetzt keinen Gedanken daran verlieren, was passieren kann, sonst würde ich noch stehen bleiben und mich keinen Schritt mehr weiterbewegen. Beide spucken wir alle Schimpfwörter und Verwünschungen aus, die wir kennen. Als wir die Buschgruppe, hinter der der Smoker verschwunden ist, endlich erreichen, kommt uns ein Dorfbewohner entgegen. »Mina?«, fragt Zott. Der Albaner macht ein verdutztes Gesicht. »Hier Mina!«, wiederholt Zott und deutet dabei in Richtung der Maiskolbenmine. Der Mann lächelt und winkt uns zu sich. Offenbar versteht er kein Serbokroatisch. Wir gehen mit ihm zum Kommandeur hinüber, der mit den anderen Dorfbewohnern an einer frisch aufgewühlten Stelle im Boden in ein Gespräch vertieft ist. Ein paar Minuten später machen wir uns auf den Weg zurück zum Fahrzeug. Wir weisen den Smoker auf die Mine hin, die jetzt wieder ein paar Meter vor uns liegt, auch um unsere längere Abwesenheit zu erklären. Er bleibt stehen und wechselt einige Worte mit unseren Begleitern. Sie nicken eifrig, und einer geht los und zeigt uns ein Stück rotweißes Absperrband, das in einem nahe gelegenen Gebüsch hängt. Der Wind hatte es wohl abgerissen, aber es fühlt sich keiner der Dörfler bemüßigt, die Mine damit wieder sichtbar zu markieren. Die wissen ja, wo sich das Teil befindet. Wir vermerken die genaue Position in unserer topografischen Karte, damit der Kampfmittelräumdienst über den Fundort informiert werden kann.
    Mundt und Kehl warten schon höchst ungeduldig auf uns, bereit, zu Hilfe zu eilen. Wir setzen auf heilen Reifen die Fahrt fort. Als Kehl erfährt, in was für einer heiklen Situation wir uns befunden haben, sagt er nach kurzem Schweigen, dass wir im Fall einer Detonation keine Hilfe von außen bekommen hätten. Die Funkgeräte seien zu schwach, um einen Notruf ins Lager abzusetzen. Darüber hatten Zott und ich noch gar nicht nachgedacht. Ich zünde mir eine Zigarette an und sacke in den Fahrersitz.
    Beim abendlichen Debriefing erfahre ich, dass wir von der Dorfgemeinschaft zu einem mutmaßlichen Massengrab geführt worden sind. Um eine Identifizierung der Leichen zu erschweren, seien die Ermordeten häufig in eine tiefe Grube geworfen und mit Tierkadavern bedeckt worden. Die Spuren der darüber aufgehäuften Erde sind bei Aufklärungsflügen über lange Zeit gut zu erkennen. Daher versucht man den Anschein zu erwecken, dass es sich um Schlachtabfälle handle. Widerlich, dieser Gedanke. Mir fällt ein, was der Kommandeur in einer ähnlichen Situation einmal meinte: »Menschen untereinander, die sind schlimmer als Wölfe.« Er wirkte dabei traurig und nahm einen tiefen Zug an seiner selbst gedrehten Zigarette. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch nie einen toten Menschen

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