Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Keine Reaktion. Jeder weitere Schritt könnte ihn gleich durch die Luft fliegen lassen. Kehl und ich suchen Schutz hinter einem Lkw. In meiner Verzweiflung schreie ich dem blöden Kerl einfach auf Deutsch zu, dass der endlich abhauen soll. Ein Major, der durch mein Geschrei auf die Situation aufmerksam wird, gibt mir die Anweisung, die Kuh zu erschießen, sobald sie näher als 20Meter an den Zaun herankommt. Dass das Tier womöglich die einzige Einkommens- und Nahrungsquelle für den Albaner ist, lässt er als Einwand nicht gelten. Er sagt mir noch, dass ich mich nicht wundern solle, falls die Kuh nach dem ersten Schuss keine Reaktion zeigt. Die Gewehrmunition sei so klein und schnell, dass sofort eine Schockwirkung entsteht. Am Morinigrenzposten habe man in ähnlicher Situation acht oder neun Mal schießen müssen, erst dann seien die Tiere schlagartig tot zusammengebrochen. Alles Weitere überlässt der Major mir und geht davon.
Vom Dach eines Lkw aus will ich die Angelegenheit schnell hinter mich bringen. Die Situation erscheint mir lächerlich. 2000 Kilometer von zu Hause entfernt soll ich die Sicherheit des Lagers gewährleisten, indem ich einer friedlich grasenden Kuh das Lebenslicht ausblase. Ich treibe die Groteske auf die Spitze und versuche muhend das Vieh an mich heranzulocken. Kehl kann sich vor Lachen kaum halten, während der arme Albaner besorgt zu uns herüberruft und winkt. Damit wir den Mann nicht um seinen womöglich wertvollsten Besitz bringen müssen, wirft Kehl ein paar Steine auf die Kuh. Die lässt sich allerdings nicht davon stören. Erst als ihr Besitzer sie mit einem großen Stein am Kopf trifft, läuft sie auf ihn zu. Er fängt sie ein, ruft uns gestikulierend etwas Unverständliches zu und verschwindet aus unserem Blickfeld. Was glücklicherweise als alberne Komödie endet, hätte jederzeit eine tragische Wende nehmen können. Hätte sich der Mann im Minenfeld verletzt, wäre ihm kaum zu helfen gewesen.
Obwohl Aufklärungs- und Patrouillenfahrten unsere Hauptaufgabe sind, unterstützen wir vom AVZ die Kampfkompanie immer häufiger bei Personen- und Fahrzeugkontrollen. Neben der Unterbindung von Waffenlieferungen aus dem benachbarten Albanien ist dabei unser Ziel, wegen Kriegsverbrechen gesuchte Personen aufzuspüren und in Gewahrsam zu nehmen. Die Kontrollen erfolgen an festen Standorten und an unangekündigt errichteten Straßensperren, also den »stationary« oder »temporary checkpoints«. Obwohl wir uns alle erdenkliche Mühe geben, Ort und Zeit der temporären Straßensperren geheim zu halten, und verschiedene militärische Geheimdienste vermeintlich sichere Erkenntnisse über einen zu dem Zeitpunkt stattfindenden Schmuggelversuch liefern, scheinen die gesuchten Personen uns meist schon vorher entdeckt zu haben. Mehr als ein paar Zufallsfunde schlecht versteckter Sturmgewehre oder Pistolen gibt es nicht. Die gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher sind sehr vorsichtig. Es gibt sie auf beiden Seiten der Bürgerkriegsparteien.
Die UÇK schickt Späher voraus, die mit SATCOM-Satellitentelefonen ausgestattet sind. Wir erkennen sie an den leistungsstarken Funkantennen auf ihrem Autodach. Dagegen sind wir mit unseren einfachen Funkgeräten teilweise nicht einmal in der Lage, einen Funkspruch über den nächsten Hügel weiterzugeben. Ich nehme an, dass es sich bei den Leuten im Fahrzeug um Mitglieder der UÇK handelt, die in Zivilkleidung ihrerseits Streife fahren. Die UÇK-Kämpfer haben während des Bombardements der NATO die Zielkoordinaten vom Boden aus an die Luftwaffe weitergegeben. Das nötige Material werden sie vermutlich von den entsprechenden Geheimdiensten der an dem Einsatz beteiligten NATO-Mitglieder zur Verfügung gestellt bekommen haben. Dass die Freischärler die teuren Satellitentelefone auch für ihre eigenen Geschäfte nutzen, scheint mir da nur logisch. Die UÇK kauft ihre Waffen mit dem Geld, das sie unter anderem in Deutschland im Drogenhandel und ähnlichen kriminellen Geschäften verdient. Das ist längst kein Geheimnis mehr. In den Polizeiberichten der meisten deutschen Großstädte kann ich seit Längerem verfolgen, wie brutal sich gerade die albanischen Gangsterbanden verhalten.
Selbst hier schrecken sie nicht vor Erpressung und Gewalttaten an ihren Landsleuten zurück. An der Morinigrenze machen meine Kameraden diese Erfahrung tagtäglich. Lkw mit verderblicher Ware werden auf der albanischen Seite der Grenze einfach so lange festgehalten, bis ein Wegzoll
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