Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
das ein Aufmarsch von KFOR-Truppen in dieser Größenordnung selbstverständlich erregt, möglichst gering zu halten. Jetzt, wo es für jeden deutlich zu erkennen ist, dass es sich um mehr handelt als um eine routinemäßige Patrouillenfahrt, wäre jeder Fluchtversuch sinnlos. Das Dorf ist komplett abgeriegelt. Wir finden die Häuser genau so vor, wie es uns bei der Einweisung skizziert wurde. Unsere Anwesenheit hat bisher offenbar noch keiner der Anwohner bemerkt. Es ist Mittag, in der größten Hitze des Jahres legen sich alle hier zur Ruhe. Wir nutzen die Gunst der Stunde und pirschen uns fast lautlos an die etwa 4 Meter hohe Mauer, die unser Zielgebäude schützt, heran. Die Mauer ist mit Stahlspitzen und Glasscherben gespickt, was hierzulande nicht unüblich ist. Ich habe mir erklären lassen, dass man sich auf diese Weise vor dem Gesetz der Blutrache unter verfeindeten Sippen zu schützen versucht, von der quasi jede Familie hier betroffen ist.
Oberstabsgefreiter Malcom positioniert sich mit seinem Trupp am Haupttor. Ich folge mit einigen Kameraden Oberfeldwebel Rüstmann. Wir wollen durch einen Eingang auf der gegenüberliegenden Seite auf den Hof gelangen. Die restlichen Soldaten sichern uns, peinlich darauf bedacht, unentdeckt zu bleiben. Wenige Augenblicke später sind wir bereit loszuschlagen und warten nur noch darauf, über Funk den Befehl dazu zu bekommen. In diesem Moment höchster Anspannung und Konzentration kommt ein kleiner Esel von einem der Nachbarhöfe angelaufen. Neugierig schaut er uns an und läuft gelassen zwischen uns hindurch. Als wir endlich das »Go« erhalten, brechen wir zeitgleich die Tore auf und dringen in den Innenhof ein. Ein satter, grüner Rasen, in seiner Mitte auf einer betonierten Terrasse Liegestühle und ein Grillplatz – das ist das Erste, was uns auffällt. Die Unmengen an Panzerfäusten, Minen, Mörsern und Granaten, Munition, Sprengstoff, Gasmasken, Uniformen und Helmen, die hier offen herumliegen, passen allerdings nicht ins Bild eines gepflegten Schrebergartens.
Wir durchsuchen das Gelände und eine Scheune. Landwirtschaftliches Gerät steht ordentlich neben aufgestapeltem Brennholz. Malcom geht währenddessen mit seinen Männern schnurstracks durch die unverschlossene Eingangstür ins Hauptgebäude, ein einfaches, rechteckig geschnittenes Gebäude aus roten Tonziegeln. Es ist zweistöckig und wie üblich von außen unverputzt, wie im Rohbau. Die Durchsuchung der Räume erfolgt routiniert. Offensichtlich hat man nicht mit uns gerechnet, denn die beiden Männer, die im Haus aufgegriffen und festgenommen werden, sind völlig überrascht und zu keiner Gegenwehr fähig. Sie sind lumpig gekleidet und wirken sehr eingeschüchtert. Offenbar hat man sie zur Bewachung der Waffen abgestellt, auf unsere Fragen reagieren sie nicht. Jetzt sind die Feldjäger und die EOD-Pioniere am Zug. Ihre Aufgabe ist es, alles akribisch zu erfassen und sich um den Abtransport zu kümmern.
Das Anwesen ist keine 30Minuten nach unserem Eintreffen unter unserer Kontrolle und die Anspannung fällt jetzt von uns ab wie ein Mühlstein. Nun können wir auch über den kleinen Esel lachen, der uns auf den Innenhof gefolgt ist. Wir scherzen und posieren mit den sichergestellten Waffen für Erinnerungsfotos. Unser Verhalten ist, zugegeben, nicht gerade abgeklärt und professionell, aber dieser Waffenfund ist der größte, den wir während unseres gesamten Kosovoeinsatzes machen. Mehr als eine komplette Kompanie hätte damit ausgerüstet werden können. Und uns ist dieses Meisterstück im Handstreich gelungen. Grund genug, abends im Lager auf unseren Erfolg anzustoßen.
MOKKAJOGHURT
Ein paar Tage später schiebt sich Oberfeldwebel Rüstmann durch den Zelteingang. Er tritt an mein Bett, in dem ich lang ausgestreckt liege und lese. Zwei Monate zuvor wäre ich noch aufgesprungen und hätte brav meine Meldung aufgesagt, wie ich es während der Grundausbildung eingetrichtert bekam. Inzwischen ist es mir genauso gleichgültig wie dem Oberfeldwebel, ob ich liegen bleibe oder nicht. Er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann, wenn es darauf ankommt, das genügt hier im Einsatz. Ein spitzbübisches Lächeln umspielt wie so oft seine Lippen, während er mich fragt, wie es um meine Russischkenntnisse bestellt sei. Ich antworte ihm, dass ich mich verständigen kann. Das scheint zu genügen, denn er gibt mir zufrieden grinsend den Auftrag, mich in der Operationszentrale, der OPZ, bei Hauptmann Prunder zu
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