Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
rollt zum Schutz vorweg, dahinter zwei Wölfe, dann der Zweitonner, den ich fahre, gefolgt von einem Sanitätsfahrzeug, abschließend wieder ein Wiesel, der unseren Konvoi nach hinten absichert. Die Fahrt durch Prizren schleppt sich langsam dahin. Die Bevölkerung schenkt uns wie üblich große Aufmerksamkeit, wenn wir vorbeiziehen. Teilweise winkt man uns freundlich zu, immer wieder kommt es aber auch zu Behinderungen. Fahrzeuge werden mitten auf der Straße abgestellt und die Fahrer verschwinden im Trubel der umherlaufenden Menschen. Manche drängen sich zwischen die einzelnen Fahrzeuge und bringen unsere Fahrt dadurch ins Stocken. Mir kommt es so vor, als ob man versucht, Zeit zu schinden und uns zu behindern. Ich vermute, dass Informationen durch Leute aus der Bevölkerung durchsickern, die als Angestellte im Lager beschäftigt sind – ein Grund, warum ich das generell kritisch sehe. Es kommt immer wieder vor, dass einer beim Putzen besonderes Interesse am Inhalt der Papierkörbe zeigt. Auch wenn solches Personal sofort entlassen wird, lässt sich nur hoffen, dass die Nachfolger vertrauenswürdiger sind. Die Umschläge der Briefe, die ich von meiner Familie erhalte, verbrenne ich grundsätzlich, ebenso wie alle Notizen, die ich mir bei Besprechungen mache. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte sich als richtig erweisen, denn die Familien oder Partner einiger Fallschirmjäger der Saarlandbrigade, die nach uns im Kosovo stationiert sind, werden in Deutschland wegen des Einsatzes ihrer Angehörigen von Unbekannten unter Druck gesetzt. Nachforschungen haben ergeben, dass deren Adressen im Kosovo von den Erpressern auf achtlos entsorgten Briefkuverts gefunden und an ihre Komplizen in Deutschland weitergegeben wurden.
Nachdem wir Prizren hinter uns gelassen haben, geben wir Gas. Um die Sicht- und Bewegungsfreiheit nicht einzuschränken, sind die Lkw und Wölfe ohne Plane unterwegs. Nur bei dem Funkwolf sieht man zumeist davon ab; der aufgewirbelte Staub würde durch die Lüftungsschlitze in die empfindliche Elektronik der SEM 80/90eindringen und zum technischen Versagen der Geräte führen. Bei uns setzt sich der Staub in Augen, Ohren, Mund und Nase. Wir binden uns ein Tuch über Mund und Nase, um möglichst wenig Staub zu schlucken, ganz lässt es sich aber nicht vermeiden. Auf unbefestigten Wegen und engen Serpentinen zu fahren, verlangt den Fahrern ein hohes Maß an Konzentration ab. Die Straßenverhältnisse sind miserabel und es gilt, die Strecke und auch die Wegränder ständig auf Minen abzusuchen. Wo sich ein Hinterhalt anböte, sind meine Sinne noch mehr geschärft, sofern das überhaupt noch möglich ist. Sobald ein Fremder versucht, unsere Kolonne zu überholen, wird ihm unmissverständlich und notfalls mit der Schusswaffe statt einer Haltekelle signalisiert, das zu unterlassen. Sollte er es trotzdem erzwingen wollen, müssen wir mit einem Sprengstoffanschlag rechnen. In der Vergangenheit wurden die Truppen anderer Nationen, besonders die Fremdenlegionäre der Franzosen, auf diese Weise attackiert. Der Befehl erfahrener Vorgesetzter ist daher so eindeutig wie kompromisslos – wir haben als Kraftfahrer den Auftrag, Fahrzeuge in solch einem Fall vom Weg abzudrängen. Das gilt auch an einem Abhang. Auf das Schicksal der Insassen wird dabei keine Rücksicht genommen. Ich empfinde es als eine schwierige Pflicht, aber als Fahrer bin ich mir auch meiner Verantwortung gegenüber meinen Kameraden und ihren Familien bewusst.
Jahre später lerne ich Martin Jäger kennen, der im Juni 2003 einen Anschlag in Kabul knapp überlebt hat. Ein Selbstmordattentäter überholte den von Martin gelenkten, mit Soldaten voll besetzten Bus und zündete die Sprengladung. Sie waren mit dem Setra, einem Reisebus der Bundeswehr, auf dem Weg zu einem Flugzeug, das die Soldaten nach sechs Monaten Einsatz endlich nach Hause bringen sollte. Die unbewaffneten Soldaten hatten in dem ungeschützten, geschlossenen Militärbus keine Möglichkeit, dem Anschlag zu entgehen, und keine Chance, das Unglück abzuwenden, das später in der Statistik als Einsatzunfall mit 4Toten und 29Verletzten erfasst wurde.
Im Nachhinein bin ich daher sehr dankbar für die Kompetenz, die man mir im Kosovo zugesprochen hat. Auf dem Weg zum Waffenlager der UÇK stoßen die auf Kampfmittelräumung und -beseitigung spezialisierten EOD einer Pioniereinheit sowie Feldjäger zu uns. Sie sind auf Schleichwegen aus anderen Richtungen an das Dorf herangefahren, um das Aufsehen,
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