Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Henker in der Kirche ein Sitzplatz zugewiesen, der abseits der anderen lag. Obwohl er zur Gemeinde gehörte und sein blutiges Handwerk im Auftrag der Gesellschaft und öffentlich unter den Augen der Menschen verrichtete, setzte man ihn an den Rand und distanzierte sich damit von ihm. Diese Doppelmoral wird immer noch praktiziert. Man setzt die Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft der Soldaten voraus, dennoch bekomme ich oftmals zu hören, dass derjenige, der sich zu dieser Aufgabe bereit erklärt, selbst Schuld ist, wenn ihm etwas zustößt. Wer offen sagt, dass er unter dem leidet, was ihm während seines Dienstes widerfahren ist, wird allzu gerne daran erinnert, dass er es freiwillig auf sich genommen und dafür ja auch seinen Sold erhalten hat. Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die diesen Dienst in Anspruch nehmen, sich mit dem Sold nicht von ihrer Mitverantwortung freigekauft haben. Eine Freiwilligenarmee, die ihre Angehörigen aus der eigenen Bevölkerung heraus rekrutiert, ist keine Söldnerarmee.
Nach etlichen Stunden Fahrt durch unwegsames Gelände, teilweise nur in Schrittgeschwindigkeit, erreichen wir unser Ziel. Auf einem Hochplateau, von einem blau schimmernden Bergkamm geschützt, liegt das Dorf vor uns. Wie üblich sind es die spielenden Kinder und Hunde, die uns zuerst bemerken. Neugierig laufen sie auf uns zu. Die Kinder sind zwar schmächtig und ihre Kleidung sieht schon abgetragen aus, aber ihre Gesichter sind fröhlich und ihre Augen leuchten, als sie sich um uns scharen. Ohne Scheu nehmen sie uns bei der Hand und ziehen uns mit sich ins Dorf. Auch die Erwachsenen begrüßen uns mit großer Herzlichkeit. Ein Mann, der um die 30Jahre alt sein mag, fällt mir wegen seiner gepflegten, modernen Kleidung besonders auf. Er spricht uns auf Englisch an. Es stellt sich heraus, dass er der Sohn des Dorfältesten ist, inzwischen im Ausland lebt und heute zu Besuch nach Hause gekommen ist. Ihm zu Ehren hat man ein Fest vorbereitet, auf das sich alle schon seit Tagen freuen. Ohne Umschweife werden wir von seinem Vater eingeladen, uns zu ihnen an den Tisch zu setzen und mitzufeiern. Sein Ältestenrat, mit dem er seine Entscheidungen zum Wohl der Gemeinde berät, sitzt ebenfalls am Tisch. Wir legen die Waffen und Schutzwesten neben uns ab, um unsere friedlichen Absichten und unser Vertrauen in die Gastfreundschaft für alle erkennbar zu machen. In diesem vom Bürgerkrieg gepeinigten Land werden solche Gesten mit großer Sensibilität wahrgenommen. Meiner Wachsamkeit tut das keinen Abbruch. Da der Hauptmann seine Gespräche mit Unterstützung des eigentlichen Gastes auf Englisch führen kann, sind meine Russischkenntnisse nicht vonnöten. Also kann ich mich auf das konzentrieren, was um uns herum geschieht.
Mein Blick begegnet oft dem einer jungen Kosovarin. Sie ist sehr hübsch. Da sie mich unverblümt anschaut, gehe ich davon aus, dass sie unverheiratet ist. Unter anderen Umständen hätte ich mich gerne mit ihr unterhalten, möglicherweise ist sie aber bereits jemandem versprochen. Ich möchte keinen Ärger heraufbeschwören und belasse es daher dabei, ihr zu signalisieren, dass der Kuchen, den sie mir auf den Teller legt, gut schmeckt. Es kam im Lager zu einer unangenehmen Situation, als der Vater eines jungen Mädchens, das als Reinigungskraft im Camp angestellt ist, dem Befehlshaber vorwarf, ein Soldat habe ein Verhältnis mit seiner Tochter. Der knapp 20 Jährige, der nicht nur Obergefreiter, sondern nun auch Freiender war, machte allerdings deutlich, dass es ihm mit dem Mädchen ernst sei. Zur Erleichterung aller Beteiligten wurde aus dem zornigen Vater, der sich entehrt fühlte, ein freudestrahlender Schwiegervater. Allen Soldaten des Lagers »Blaue Halle« wurde aus dieser Erfahrung heraus eingeschärft, dass ein Verhältnis hierzulande wesentlich ernstere Konsequenzen bis hin zu öffentlichen Unruhen nach sich ziehen kann und daher streng untersagt sei.
Ich beginne eine Unterhaltung mit einem greisen Mann, der neben mir sitzt. Ich bin mir nicht sicher, ob er Deutsch oder Russisch besser versteht, daher versuche ich beides. Er ist überaus freundlich und nickt bei allem, was ich ihn frage. Jemand am Tisch gegenüber gibt mir zu verstehen, dass der Mann taubstumm ist. Ich komme mir etwas lächerlich vor. Um das zu überspielen, biete ich dem Greis und den anderen am Tisch eine Zigarette an. Während wir rauchen, wird Kaffee serviert. Ich beobachte, dass die Tassen nur mit heißem Wasser
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