Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
nur mit Mühe angeleint. Auf dem Weg zum Gelände kann ich Idor kaum halten und ich habe das Gefühl, dass sich die Lederleine um mindestens einen Meter dehnt. Die Ausbilder stehen unter einer Straßenlaterne und geben mir nun den Befehl, dass ich meinen Hund schicken soll. »Idor, pass schön auf! Wo ist der Lump«, flüstere ich ihm ins Ohr. Idor winselt vor Anspannung, ich klinke seine Leine aus. Sofort sprintet er los. Ich kann ihn in der Dunkelheit nicht mehr sehen.
Es vergeht nur ein kurzer Augenblick, als der Helfer Uwe plötzlich ruft: »Der beißt durch!« Sofort fällt mir ein, scheiße, ich hab vergessen, den Beißkorb aufzusetzen. Ich laufe in die Richtung, aus der die Schreie kommen. »Müller, dein Hund beißt durch!«, schreit Uwe. Ich sehe nun Uwe, wie er am Boden liegt, und Idor, der ihn in den Arm gebissen hat und mit ihm kämpft. Sofort greife ich in das Kettenhalsband und schreie: »AUS!«. Idor lässt vom Arm ab und macht von ganz alleine Platz. Uwe steht auf und schreit mich an: »Der hat gar keinen Beißkorb draufgehabt.« Nun sind auch die beiden Ausbilder und die anderen Hundeführer dazugekommen. »Da hat der Helfer mal richtig Glück gehabt. Und wo ist der Beißkorb, Müller?«, fragt mich einer der Ausbilder. In diesem Moment hält Lancer Idors Beißkorb ins Licht einer Taschenlampe. »Hier ist er, den muss Idor unterwegs verloren haben«, sagt er. »Ja, den muss er sich unterwegs abgemacht haben«, versuche ich mich rauszureden. Loch ruft dazwischen: »Also ich würde mir das was kosten lassen, Uwe.« Ich entschuldige mich für das Verhalten von Idor und bin froh, dass mein Hund nicht reden kann. Auf dem Rückweg bitte ich Lancer um Feuer für eine Zigarette. »Mensch, Lancer, Danke, dass du mir den Arsch gerettet hast«, flüstere ich ihm zu. »Mensch, Mula, ist doch kein Problem, hättest du doch auch für mich getan. Außerdem ist ja Gott sei Dank nichts Schlimmes passiert«, antwortet Lancer leise. Am Abend im Bett nehme ich mir vor, Uwe auf ein Bier einzuladen, dann wird die Sache wohl bald vergessen sein.
Bei der Hundeausbildung wird auch mit dem erwähnten Teletakt gearbeitet. Per Fernbedienung erhält der Hund über ein spezielles Halsband Stromstöße. Es ist eine praktikable Möglichkeit, über große Distanz und ohne lange Schleppleine auf das Tier einzuwirken. Es wird zwar beteuert, dass das ja nur als Absicherung genutzt wird, damit der Hund zuverlässig von einem Opfer ablässt, und dass das Gerät nicht als Fernsteuerung des Hundes gedacht ist, doch der Teletakt ist fester Bestandteil der Ausbildung. Lancer erfüllt alle gestellten Aufgaben, aber er macht keinen Hehl daraus, dass er es für Tierquälerei hält, den Teletakt zu benutzen. Das stößt den alten Hundesportlern Stuvess und Mehlen wohl sauer auf, denn sie versuchen, ihn mit Machtspielchen aus der Reserve zu locken. Doch Lancer bietet ihnen keine Angriffsfläche. Außer Milano, der aus seinem Herzen grundsätzlich keine Mördergrube macht, halten sich alle lieber bedeckt. Die Selbstverständlichkeit, mit der man uns diese Dinge an der Hundeschule präsentiert, und die Art und Weise, wie man Lancer vorführt, verunsichert auch uns. Am Ende der Ausbildung bleibt Stuvess und Mehlen nichts anderes übrig, als Lancer mit einem Trick auszubooten. Perfiderweise berufen sich die Ausbilder auf die Tierschutzverordnung und behaupten, dass Lancer und sein Hund Bart keine Bindung zueinander aufgebaut hätten. Das stimmt natürlich nicht. Lancer hat seinen Hund innerhalb der 14 Wochen genauso ins Herz geschlossen und für sich gewonnen wie alle anderen.
Besonders Milano ist über diese Ungerechtigkeit sehr verärgert und so aufgebracht, dass er es unsere kameradschaftliche Pflicht nennt, den Lehrgang ebenfalls zu beenden und die Versetzung aus dem Hundezug zu beantragen. Das bedeutet im Klartext Meuterei und Befehlsverweigerung. Wir sitzen gemeinsam in unserer Stube und sind hinund hergerissen. Glücklicherweise nimmt Lancer uns die Entscheidung ab: Es wäre niemandem damit gedient, wenn alle seinetwegen aus dem Hundezug aussteigen würden, am allerwenigsten den Hunden, denn die würden an andere Hundeführer abgegeben werden, die weniger moralische Bedenken hätten als wir. Auf die Möglichkeit, den Lehrgang mit der nächsten Gruppe zu wiederholen, verzichtet Lancer. Es geht den Ausbildern nicht um das, was er tut, sondern mit welcher Einstellung er an die Sache herangeht. Machtspiele und Heuchelei sind Lancer aber
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