Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
können, werden wir zu einem späteren Zeitpunkt eingeplant.
Milano, Butzki, Hässlich und ich fliegen am 7. Februar 2002 mit einer gecharterten russischen Antonov, der größten Transportmaschine weltweit, von Köln-Wahn aus nach Kabul. Wir sind mit unseren Hunden in der obersten Etage des riesigen Flugzeugs einquartiert. Die russische Bordbesatzung hat sich hier mit Kühlschrank und Kochnische häuslich eingerichtet. Die exotischen Gerüche der von ihnen zubereiteten Speisen wabern in der ohnehin stickigen Maschine aufdringlich zu uns herüber. Zwischendurch beobachte ich, wie ein Bordmechaniker eine undichte Ölleitung einfach mit einem Putzlappen, den er sich aus der Tasche zieht, abdichtet. Ich hoffe inständig, dass ich heil nach Kabul komme. Wir landen aber zunächst in Aserbaidschan. Warum wir ohne Flugabkommen überhaupt in deren Hoheitsgebiet geflogen sind, erfahre ich von der russischen Besatzung der Antonov nicht. Als wir endlich die Hauptstadt von Afghanistan anfliegen, bin ich heilfroh. Die Landung wird zu einem Thriller, da die ehemaligen sowjetischen Kampfpiloten erst noch ein hartes Wendemanöver zum Abbremsen des gigantischen Flugzeugs einlegen müssen – die einzige halbwegs intakte Landebahn des stark zerstörten Kabul International Airport (KIA) ist kurz.
Als wir mit den Hunden im Arm die schmale Leiter bis zum untersten Stockwerk der Transportmaschine hinabklettern, erwartet uns Lancer bereits mit dem T4Kleinbus an der Heckrampe. Freudestrahlend nimmt er uns in Empfang und stattet uns auch gleich mit den schweren Bristolwesten aus. Bei den wenigen Soldaten, die zum Schutz des Lagers zur Verfügung stünden, erwarte man uns bereits sehnlich, sagt er. Die Fahrt ins Lager Camp Warehouse führt uns durch die Innenstadt von Kabul. Über der Stadt liegt eine dichte Smogglocke, die schon von Weitem zu sehen ist. Das in dieser Gebirgsregion ohnehin erschwerte Atmen wird durch die trockene, staubige Luft zusätzlich unangenehm beeinträchtigt. Ich habe ständig das Gefühl, mich räuspern zu müssen, um das Kratzen im Hals loszuwerden.
Die rohen Betongebäude in Kabul tragen deutlich die Spuren eines lange andauernden Krieges. Die vielen Menschen, die wie Insekten in einem Ameisenhaufen durch die Straßen gehen, wirken auf mich bedrohlich. Ich habe den Eindruck, dass uns ihre dunklen Augen über den dichten schwarzen Bärten fortwährend feindselig anblicken. Bestenfalls scheinen die Menschen unsere Anwesenheit zu ignorieren. Wir fahren fast nur in Schrittgeschwindigkeit durch die dichtbevölkerten Straßen. Die an den anarchistischen Fahrstil gewöhnten Afghanen dagegen rasen auch unter Ausnutzung der Gegenfahrbahn, was immer ihre alten Fahrzeuge hergeben. Ein Mann, dem beide Beine fehlen, hockt auf einem Rollbrett mitten zwischen zwei entgegengesetzten Fahrspuren. Stumpfen Blickes sieht er die Fahrzeuge an sich vorbeidrängen und bettelt mit einem Schälchen in der Hand um ein paar Münzen. Der Einsatz im Kosovo löste in mir einen Kulturschock aus, hier jedoch übermannt mich das Gefühl, die Realität verlassen zu haben. Meine Umgebung erscheint mir als eine Mischung aus Steinzeit und Endzeit.
Als wir Kabul in östlicher Richtung verlassen, nehmen wir etwas an Fahrt auf. Die von den russischen Besatzern gebaute Ringstraße ist jedoch in einem so schlechten Zustand, dass wir maximal mit 50 km/h ins etwa 10 Kilometer entfernt gelegene Camp Warehouse fahren können. Hauptfeldwebel Festas begrüßt uns lachend mit einem freundlichen Klaps auf die Schulter. Wir bringen unsere Hunde zu der transportablen Zwingeranlage, die in einem von Mauerruinen abgeschirmten Bereich direkt neben unseren Zelten aufgebaut wurde. Dann weist uns Festas im Zelt rasch unsere 2,5 Quadratmeter zu, auf denen wir für die nächsten sechs Monate unser Feldbett aufschlagen. Ohne Umschweife setzen wir uns danach zusammen und bekommen nach einer genauen Einweisung in die Lage unsere Aufgaben zugeteilt. Wir sollen innerhalb des Geländes die Lagerwachen durch Streifengänge mit dem Hund unterstützen, fremde Fahrzeuge, die ins Lager hineingelassen werden, auf Sprengstoff, Waffen und Munition überprüfen und als Reserve ein Team auf Abruf in Alarmbereitschaft halten. Da die Bundeswehr Tagelöhner beschäftigt, die im Camp Warehouse handwerkliche Arbeiten verrichten, kommt es morgens am Lagereingang immer wieder zu Tumulten und Gerangel. Jobs bei uns Deutschen sind begehrt, immerhin zahlt die deutsche ISAF-Truppe den Arbeitern
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