Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
hier im Einsatzland einen nach deutschen Maßstäben bemessenen Lohn. So können die Afghanen in nur wenigen Tagen ein Vielfaches des in Afghanistan durchschnittlichen Jahreseinkommens von nicht einmal 200 US-Dollar verdienen. Es wird versucht, die Arbeit durch eine täglich neue Vergabe an die Bevölkerung Kabuls gerecht zu verteilen, aber das führt zu dem Problem, dass sich jeden Morgen eine große Horde Afghanen praktisch um die Stellen prügelt.
Wir nehmen natürlich auch Aufgaben außerhalb des Lagers wahr, aber die Aufträge sind wechselnd und diese »missions« werden meist erst am Abend zuvor erteilt. Für alle verfügbaren deutschen Soldaten steht bereits die Absicherung des Sportstadions in Kabul in drei Tagen auf dem Plan. Ein Fußballspiel zwischen der afghanischen Nationalmannschaft und einer Auswahl talentierter Fußballspieler der ISAF-Truppen soll zur Völkerverständigung beitragen. Zwei verstärkte Kompanien, insgesamt etwa dreihundert Mann des Einsatzkontingents, sollen das Stadion, das etwa 30000 Zuschauern Platz bietet, absichern. Bei einer Erkundung des Areals müssen wir feststellen, dass eine zuverlässige Überprüfung des gesamten Stadions in der kurzen Zeit gar nicht möglich ist. Viele Räume unterhalb der Tribüne sind kaum begehbar. Sie sind unbeleuchtet und übersät mit Glasscherben. In den dunklen Ecken der ehemaligen Umkleide- und Duschkabinen erkennen wir im Schein unserer Taschenlampen, dass der ganze Boden vollgeschissen ist. Die Hunde können wir nur mit speziell gepolsterten Pfotenschuhen zur Sprengstoffsuche mit in die Räume nehmen.
Das nächste Problem besteht darin, die bereits abgespürten Segmente der Arena bis zum Spiel abzuriegeln, nachts in das offene Stadion zu gelangen ist kein Problem. Auf dem verdorrten Rasen des Fußballfeldes spielen einige Kinder, natürlich nur Jungen. Mädchen dürfen nicht allein auf die Straße gehen oder gar dort spielen. Ich erinnere mich in diesem Moment an einen Fernsehbeitrag, den ich vor meinem Abflug im ZDF gesehen habe. Darin zeigte man, wie eine Frau in der landestypischen Burka in diesem Stadion zu Tode gesteinigt wurde. Es hieß auch, dass die Taliban Regimekritiker im Stadion von Kabul öffentlich erschießen. Mein Blick fällt auf die deutlich erkennbaren Einschusslöcher an der Innenwand. Der Gedanke daran, an einem solchen Ort ein Freundschaftsspiel stattfinden zu lassen, lässt mich erschaudern.
Wie befürchtet, wird das Spiel zu einer Nagelprobe. Etliche gefälschte Eintrittskarten sind in Umlauf gebracht worden, da die offiziellen Karten innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Eine mindestens ebenso große Menschenmenge wie die, die das Stadion bereits ausfüllt, drängt sich an den zahlreichen Eingängen und verlangt protestierend Einlass. Dass ihre vorgezeigten Karten keine Gültigkeit haben, können oder wollen sie nicht verstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass korrupte Polizisten der afghanischen Miliz dieselben Karten, die sie den Zuschauern am Eingang abgenommen haben, ein paar Meter weiter in der Menge nochmals verkaufen. Zusammen mit Soldaten der britischen Armee versuchen wir, der Lage Herr zu werden. Die Niederländer, die ebenfalls zur Unterstützung eingeplant waren, werden unerwartet abgezogen.
Völlig unterbesetzt bemühen wir uns, den wütenden Mob davon abzuhalten, das Stadion zu stürmen. Von unseren Schusswaffen dürfen wir nur bei direkter Gefahr für Leib und Leben Gebrauch machen, damit es nicht zu einer Eskalation der Gewalt kommt. Die Afghanen selbst sind nicht zimperlich. Vereinzelt fliegen Ziegelsteine über die hohe Stadionmauer auf die Tribüne. Ein afghanischer Polizist schleudert einen dieser Steine wütend in die Menge zurück und trifft jemanden am Kopf. Als der Getroffene zusammensackt, lachen die Umstehenden lauthals. Niemand macht Anstalten, dem Verletzten zu helfen. Bei so einer Mentalität nützt den Gurkhas, einer britischen Eliteeinheit, die ausschließlich aus Nepalesen besteht, ihr scharfes, sichelartiges Kukrimesser nichts. Die Menschenmasse ist einfach zu erdrückend. Die Soldaten der Kampfkompanien werden in einem Innenhof des Haupteingangs bereits die Stufen der Tribüne hinaufgedrängt, als per Funk der Hundezug zur Unterstützung herbeigerufen wird. Mit vereinten Kräften gelingt es schließlich, die einstürmenden Massen aus dem Innenhof zu drängen. Die religiös bedingte Angst der Muslime vor Hunden trägt ihren Teil dazu bei.
Nach dem Fußballspiel sind wir
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