Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
fündig. Er geht so ruhig, vorsichtig und konzentriert vor, dass ich mit ihm »in einem Porzellanladen spüren gehen könnte«, wie mir ein Ausbilder anerkennend sagt. Ich bin sehr stolz auf Idor und sorge mich nicht um die Abschlussprüfung.
Milano und ich kommen gerade aus dem Verwaltungsgebäude der Diensthundeschule, als ein Kamerad von den Feldjägern aufgeregt an uns vorbeirennt und uns zuruft: »Die USA werden angegriffen!« Wir schauen ihm irritiert hinterher. Verwundert gehen wir in die Unterkunft. Dort kommt uns Kamerad Hässlich entgegen. Er fordert uns auf, schnell mitzukommen. Vor dem Fernseher auf seiner Stube sitzen bereits mehrere Kameraden versammelt. Auf dem Bildschirm laufen verstörende Bilder – ein Flugzeug steuert auf ein Hochhaus zu und explodiert nach dem Aufprall in einem der oberen Stockwerke. Dasselbe geschieht wenig später mit dem Hochhaus daneben. Danach sieht man, wie Menschen versuchen, sich zu retten, und sogar aus den obersten Stockwerken in den Tod springen, um der Flammenhölle zu entgehen. Kurz darauf stürzen die Gebäude in sich zusammen – die Twin Towers des World Trade Centers in New York.
Was ich sehe, kommt mir völlig unwirklich vor. Ich kann nicht fassen, dass es die Realität sein soll und kein fiktiver Film ist. Zunächst halte ich diese Katastrophe für ein Flugzeugunglück, aber in den Nachrichten wird schon bald von einem terroristischen Anschlag gesprochen, nachdem mehrere Flugzeuge gleichzeitig als entführt gemeldet wurden. Welche Drahtzieher dahinterstehen und aus welcher Motivation gehandelt wird, ist noch völlig unklar. Ich bin zutiefst schockiert. Auch meine Kameraden bringen kein Wort hervor und starren wie gebannt auf die sich immer wiederholenden Bilder. Als mein Handy klingelt, gehe ich aus der Stube. Es ist meine Mutter, ihre Stimme klingt besorgt. Sie fragt mich, ob bei mir alles in Ordnung sei und ob es mir gut gehe. Möglicherweise befürchtet sie, dass ich mehr wisse als sie und meine Einheit bereits in Alarmbereitschaft versetzt sei. Da meine Einheit zu den Krisenreaktionskräften, KRK, der Bundeswehr gehört, wäre das tatsächlich wahrscheinlich. Während des Gesprächs beobachte ich Geschäftigkeit auf dem Kasernenhof. Es ist kurz vor Dienstschluss, normalerweise sieht man die Leute in kleinen Grüppchen draußen zusammenstehen und rauchen. Es gelingt mir, meiner Mutter ein paar beruhigende Worte zu sagen, aber als ich das Gespräch beende, merke ich, dass ich selber Angst verspüre.
Zurück in Hässlichs Stube beteilige ich mich an den Spekulationen meiner Kameraden. Wir sitzen bis in den späten Abend hinein zusammen und überlegen, welche Auswirkungen das Ganze letztendlich für uns haben mag. Als ich mich schlafen lege, merke ich, macht sich eine Sorge in mir breit: Wenn dieser geplante Massenmord von einer fremden Regierung eingefädelt wurde, kann es zu einem Krieg größeren Ausmaßes kommen. Schlimmstenfalls sogar zu einem Atomkrieg, denn wer würde sich mit den USA anlegen, wenn nicht eine Atommacht? Ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Beruf als Soldat dem Schicksal ohnmächtig ausgeliefert. Egal wie die Regierungen entscheiden werden, ich werde es umsetzen müssen. Ein unruhiger Schlaf löst am Abend des 11. September 2001 diese Gedanken ab.
Drei Tage später erhalte ich die Nachricht, dass die Geburt meines ersten Kindes noch heute und in Kürze erwartet wird, früher als errechnet. Glücklicherweise gibt mir Hauptfeldwebel Festas frei. Ich springe sofort mit Idor ins Auto und stelle auf der Fahrt von Koblenz nach Hannover meinen persönlichen Geschwindigkeitsrekord auf. Im Krankenhaus eile ich durch die Abteilungen und frage mich aufgeregt bis zum Kreißsaal durch. Da ich in Uniform bin, ernte ich verwunderte Blicke. Gerade als ich den Kreißsaal betreten will, kommt mir eine Krankenschwester mit einem winzig kleinen Baby auf dem Arm entgegen. Meine kleine Tochter hat soeben das Licht der Welt erblickt. Sie ist ein Frühchen und so niedlich, dass ich alles um mich herum vergesse. Ich traue mich kaum, sie auf dem Arm zu halten, weil sie so zerbrechlich wirkt. Als die Schwester mich fragt, welchen Namen sie in den Geburtsunterlagen eintragen soll, sage ich, während ich meinem Kind stolz in seine wunderbar blauen Augen schaue: »Patricia!« Es ist der schönste Moment meines Lebens und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bei ihr bleiben zu können. Leider zwingt mich mein Dienst zurück zur Hundeschule nach Koblenz, wo
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