Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Leben riskieren. Erst Jahre später schreibe ich seinem Nach-Nachfolger Franz Josef Jung einen Brief mit der Bitte um Unterstützung. Ein Assistent antwortet mir lapidar, man habe viel Verständnis für meine Situation und wünsche mir viel Glück für meinen weiteren Werdegang.
Im Frühjahr 2003 kommt mein Gruppenführer Kunz zu mir und sagt, dass ich mir schnell die Stiefel putzen und ein ordentliches Feldhemd anziehen soll, wir würden vom Bataillonskommandeur erwartet. Gemeinsam mit Oberfeldwebel Mesner melden wir uns wie befohlen. Zusätzlich zu der üblichen Einsatzmedaille bekommen wir die Ehrenmedaille der Bundeswehr überreicht, die uns vom Verteidigungsminister »als sichtbare Anerkennung für treue Dienste und in Würdigung beispielhafter soldatischer Pflichterfüllung« verliehen wurde. Ich freue mich über diese besondere Auszeichnung und gehe davon aus, dass auch Lancer und Neuring sie erhalten. Es stellt sich aber heraus, dass man sie als einfache Mannschaftssoldaten übergangen hat. Verärgert fordere ich meinen Buddy auf, sich das nicht gefallen zu lassen. Immerhin hat er trotz seiner eigenen Verwundung den schwer verbrannten Kameraden Kunz und Mesner Erste Hilfe geleistet. Er hat mir erzählt, dass er auf der Suche nach mir zuerst Kunz getroffen, ihn in einer Bodensenke in Deckung gebracht und dessen Verbrennungen mit dem Wasser seiner Feldflasche gekühlt hat. Als dann Sanitäter sich um Kunz kümmerten, ist er weiter auf der Suche nach mir zu einer Verwundetensammelstelle gelangt, an der Sanitäter einem Mann in den Überresten einer deutschen Uniform eine Infusion legten und ihn zu stabilisieren versuchten.
Auf Englisch riefen sie Lancer zur Unterstützung heran. Er hielt den Mann, dessen Gesicht und Körper vor lauter Verbrennungen nicht mehr zu erkennen waren, für mich. Lancer konnte noch nicht wissen, dass ich es war, der ihn an der Schulter gepackt und hochgerissen hatte. Mein Buddy redete beruhigend auf den Mann ein, dass er durchhalten müsse und bereits morgen wieder bei seiner Familie sei. Lancer berichtete mir, wie bodenlos verzweifelt er in diesem Moment war, weil er seinen Worten selbst nicht glaubte und annahm, dass ich ihm jeden Moment unter den Händen wegsterbe. Aber seine eindringlich hervorgebrachten Worte schienen ins Bewusstsein des Verletzten zu dringen. Jedenfalls hörte der verbrannte und von Schrapnellen durchsiebte Mann zwischendurch immer wieder auf zu schreien. Er hielt inne und schien die Bedeutung der Worte zu erfassen. Drei Meter zu seiner Linken sah Lancer Neuring liegen. Er schaute Hilfe suchend zu meinem Buddy hinüber. Da ihm die kleinen Schrapnellwürfel nicht nur das Knie, sondern auch den Kiefer durchschlagen hatten, war er unfähig, etwas zu rufen. Sein wimmerndes Stöhnen fiel in die Schreie des zur Unkenntlichkeit verbrannten Mannes ein. Dieser Mann, um den Lancer sich intensiv gekümmert hat, war Mesner, den es von uns allen am Schlimmsten getroffen hat.
Trotz seiner Nervenstärke in dieser Situation soll mein Buddy bei der Verleihung der Ehrenmedaillen unter den Tisch fallen? Das will ich nicht akzeptieren. Doch Lancer reagiert ungewohnt schroff auf meine Aufforderung, für sich eine Ehrenmedaille einzufordern: Was solle er denn damit anfangen? Sie würde nur bei den anderen Butterorden in der Schublade landen, in der auch sein Schuhputzzeug liegt. Mich ärgert seine Haltung, doch ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er den neuen Bataillonskommandeur Janson nicht darum bitten wird, für ihn die Ehrenmedaille zu beantragen. Beim Smoker wäre Lancer nicht so abweisend gewesen, aber dem wäre so eine beleidigende Herabwürdigung sicher auch nicht passiert. Lancer verehrt unseren bei allen Soldaten im Bataillon geschätzten und beliebten »Präsidenten«, der seit unserer Grundausbildung das Fallschirmjägerbataillon 313 geführt hat. Fünf Jahre lang war er uns mehr Vater als Vorgesetzter.
Es ist nicht das letzte Mal, dass mit zweierlei Maß gemessen wird und Soldaten abhängig von der Laufbahn, die sie beim Militär eingeschlagen haben, behandelt werden. Während Mesner und Kunz auffallend schnell zu Hauptfeldwebeln befördert werden und sich ihnen so der Weg zum Berufssoldaten eröffnet, werde ich ein paar Jahre später trotz der besonderen Empfehlung des Kommandeurs, in der es heißt, ich sei der leistungsstärkste Unteroffizier des Bataillons und müsse zum Feldwebel ausgebildet werden, ohne Chance auf eine Weiterverpflichtung entlassen.
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