Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
finden in der Kaserne Massenveranstaltungen statt, die für Soldaten auf Zeit zugeschnitten sind, aber das neue Einsatzspektrum der Bundeswehr längst nicht hinreichend berücksichtigen. Den Berufssoldaten kann das egal sein, da sie Beamtenstatus haben. Ihre Absicherung ist deutlich besser als die der anderen Soldaten. Ein Soldat auf Zeit oder gar ein freiwillig Wehrdienst Leistender, der in den Einsatz geht, ist in einer wesentlich schlechteren Position. Vielen Soldaten aus meiner Einheit, deren befristeter Vertrag in naher Zukunft endet, wird angeboten, für die Zeit eines Auslandseinsatzes weiter verpflichtet zu werden. Diese Gelegenheit, sich vor Ende der Dienstzeit noch ein finanzielles Polster zu schaffen, wird oftmals gerne wahrgenommen. Die Kameraden können nicht wissen, welche Probleme auf sie zukommen, wenn sie aus dem Einsatz heimkehren und dann außerhalb der vertrauten Strukturen Hilfe suchen müssen. In der Regel hat nicht einmal der Chef oder Spieß ihrer Kompanie eine Vorstellung davon, wie es dann für sie weitergeht. Woher auch? Wenn die Leute entlassen werden, verliert sich der Kontakt sehr schnell. Es kommen neue Männer nach und neue Aufgaben, für die sie vorbereitet werden müssen. Für den Exsoldaten in Not hingegen bedeutet das eine Odyssee als Bittsteller von einer Behörde zur nächsten. Für seine Ansprechpartner ist er nicht der Kamerad, sondern ein Fall. Wenn die Anträge auf Unterstützung abgelehnt werden, bleibt nur noch der kostspielige Rechtsweg. Es sollte nicht nötig sein, dass sich der einzelne Soldat um derlei kümmert, weil meiner Ansicht nach der Dienstherr wie eine Versicherung agieren sollte. So interpretiere ich auch den § 31 des Soldatengesetzes, in dem es heißt, dass der Dienstherr eine Pflicht zur Fürsorge hat.
Lancer erhält von Pellnitz eine ähnliche Diagnose wie ich. Allerdings sind es andere Dinge, die meinen Buddy um den Schlaf bringen. Wie ich aus unseren Gesprächen heraushöre, beschäftigt ihn seit der Explosion die Frage nach dem Sinn. Dem Sinn des Einsatzes, dem seines Überlebens, des Lebens überhaupt. Lancer und ich sind dadurch, dass wir am 6. März die Explosion überlebt haben, nicht nur zu Leidensgenossen, sondern auch zu Blutsbrüdern geworden. Auch wenn es nicht unser eigenes Blut ist, das uns verbindet. So verschieden die Beweggründe sind, die uns umtreiben, so ähnlich ist die Kur, die wir uns verordnen. Damit ich nachts überhaupt schlafen kann, versuche ich mich durch extrem viel Sport am Tag und Alkohol am Abend in einen Zustand der totalen Erschöpfung zu bringen. Ich versuche, um 22:00 Uhr wie ein Stein ins Bett zu fallen, damit ich bis zum Dienstbeginn genug Schlaf bekomme. Dennoch quäle ich mich jeden Morgen auf die Beine, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen. Nach Dienstschluss verbringe ich den Abend gemeinsam mit meinem Buddy. Fast täglich fahren wir dann mit dem Rad ins 5 Kilometer entfernte Varel. Selbst an den Wochenenden bleiben wir lieber in der Kaserne, als an den Ort zu fahren, den wir vor einigen Monaten noch Zuhause nannten.
Im Studio »Vera Fit« begegnen wir häufig unserem neuen Bataillonskommandeur. Ich frage ihn ab und an nach der Entwicklung in unserem Wehrdienstbeschädigungsverfahren, das seit einigen Monaten bearbeitet wird. Die Sachbearbeiterin der Wehrbereichsverwaltung kann ich telefonisch nie erreichen und ich habe den Verdacht, dass sie sich verleugnen lässt. Ich hoffe, dass man meinen Vorgesetzten nicht so einfach abwimmeln wird. Oberstleutnant Janson versichert mir jedes Mal, wenn ich ihn frage, sich persönlich um diese Angelegenheit zu kümmern, aber er sagt mir auch, dass es sich nach seiner Erfahrung immer über Monate hinzieht, bis die Verwaltung zu einer Entscheidung kommt. Ich bin von der Warterei genervt und überlege, dem neuen Verteidigungsminister in einem Brief zu schreiben, wie lange die Anerkennung meiner Wehrdienstbeschädigung schon auf sich warten lässt. Von »schnell und unbürokratisch« kann da nicht die Rede sein. Leider ist derjenige, der uns das bei unserer Ankunft in Köln-Wahn so vollmundig zugesichert hat, nicht mehr im Amt. Rudolf Scharping kam durch die Mallorcaaffäre ins Gerede und ist von seinem Amt als Verteidigungsminister zurückgetreten. Ein Schritt, den meine Kameraden und ich begrüßten, da wir es auch nicht als passend empfanden, dass unser oberster Dienstherr sich mit seiner Geliebten im Pool ablichten lässt, während seine Untergebenen in Afghanistan ihr
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