Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
denn seit ich durch die schnelle Repatriierung aus dem Einsatz gerissen wurde, habe ich das Gefühl, dort noch irgendetwas zu Ende bringen zu müssen. Unser Flug nach Kabul wird um eine Woche verschoben, denn kurz vor der geplanten Abreise wird ein Selbstmordattentat auf einen voll besetzten Militärbus verübt, der die Soldaten des dritten Kontingents nach einem halben Jahr Dienst in Afghanistan zu ihrem Flieger Richtung Heimat bringen sollte. Wir haben daher Zeit, unsere Pläne noch einmal zu überdenken. Sollten wir auf den geplanten 14-tägigen Aufenthalt im Camp Warehouse verzichten?
Diese Entscheidung wird für uns zur Gretchenfrage. Gemeinsam mit Lancer und Kunz bespreche ich, wie wir uns verhalten wollen. Es ist uns ganz klar, dass wir, wenn wir jetzt nicht nach Afghanistan fliegen, im Diensthundezug fehl am Platz sind. In jedem Kontingent werden unsere Diensthunde angefordert, unabhängig davon, ob unser Bataillon im Einsatz ist oder nicht. Außerdem steht noch das Gefühl im Raum, »es« zu Ende bringen zu wollen. Wenn nicht jetzt, dann wahrscheinlich nie. Letzten Endes sind wir eine Woche später in Kabul, zurück an dem Ort, wo unser Leben in einem unbedachten Augenblick aus den Fugen geriet. Jeder von uns bekommt die Gelegenheit, allein Abschied von den fünf gefallenen Kameraden zu nehmen. Für jeden wurde am Unfallort eine mit Beton ausgegossene Öltonne zum Gedächtnis aufgestellt. Ich leere eine Flasche Jim Beam an der Stelle aus, an der die Sprenggrube gewesen sein muss – sie sind jetzt im Himmel und da gibt es vielleicht keinen Schnaps. Dann stelle ich mich zu unserer Truppenpsychologin, die uns begleitet.
Gemeinsam beobachten wir Lancer, der lange regungslos und schweigend an der Unfallstelle steht. Dann salutiert er, macht auf dem Absatz kehrt und geht. Mein Buddy schleppt seit der Explosion eine enorme psychische Last aus Wut, Schuld und Verzweiflung mit sich herum. Er hofft aber, wie er mir später bei einem Bier offenbart, jetzt mit der ganzen Geschichte abschließen zu können. Ich verstehe sehr gut, was er meint. Seit einem Jahr kommen wir wegen der Explosion nicht mehr zur Ruhe. Die Wehrbereichsverwaltung, von der wir seit Langem die Anerkennung unserer Wehrdienstbeschädigung erwarten, lässt nicht von sich hören. Ich habe mit meinen Kameraden bereits einen Anwalt damit beauftragt, der Sache nachzugehen, denn die Lage dürfte klar sein.
Infolge der hinausgezögerten Anerkennung unserer Wehrdienstbeschädigung erhalten wir auch keine Ausgleichszahlung für die bleibenden Schäden, die uns beruflich und im Alltag einschränken. Aber unsere Springerzulage in Höhe von 92Euro ist uns natürlich sofort gestrichen worden, da wir für mindestens ein Jahr nicht mehr fliegen, also auch nicht mehr Fallschirmspringen dürfen. Auch für Auslandseinsätze sind wir damit nicht tauglich. Die Gefahrenzulage zum Sold von 6,70 Euro pro Stunde steht nicht wirklich im Verhältnis zu dem eingegangenen Risiko. Ich erhalte noch etwa 2400 Euro Zulage für meine 28 Tage Einsatz, ich hätte stattdessen lieber noch meine Gesundheit. Trotzdem bin ich bereit, weiterhin an Auslandseinsätzen teilzunehmen, da das nun einmal meinen Beruf ausmacht. Ich bin auch nach wie vor stolz darauf, als Soldat für die Werte unserer Gesellschaft einzustehen. Was mich inzwischen allerdings reichlich Nerven kostet, ist, dass wir immer neue Anträge stellen müssen, immer wieder von Ärzten aus unterschiedlichen Fachbereichen begutachtet werden und wir selbst da ständig andere Ärzte vor uns haben. Eigentlich ist jedem, mit dem ich über die Situation spreche, klar, dass mir eine Entschädigung durch die Bundeswehr als meinem Arbeitgeber zusteht. Was es da immer noch zu prüfen gibt, leuchtet niemandem ein.
Dazu gehen mir eine Menge Klugscheißer auf die Nerven, die meinen, ich hätte wissen müssen, dass so etwas auf mich zukommt: »Du wusstest doch, wo du hingehst«, bekomme ich vorgehalten. »Du wusstest doch, was dich im Krieg erwartet. Dafür bist du doch Soldat geworden. Hast du dir nie Gedanken darüber gemacht? Warum beschwerst du dich jetzt?« Das ist graue Theorie. Das ist, als würde mir jemand voller Überzeugung sagen: »Ich weiß, wie Sex ist, ich weiß, wie sich das anfühlt – ich habe irre viele Sexfilme gesehen und auch schon sehr viel darüber gelesen!«
Nein, ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich meinte es zu wissen und ich meinte damit umgehen zu können. Ich habe mich leider getäuscht. Zu erleben,
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