Soldner
aber auch in der Art, wie sie mit ihm umging. Im Gegensatz zu den meisten Frauen zeigte sich Dar von seiner Position als Gardist unbeeindruckt. Für Sevren war dies ein gutes Zeichen. Sie zeigte Geringschätzung für jenen Teil von ihm, den auch er inzwischen verachtete. Auf all seinen Reisen war ihm noch nie eine Frau wie sie begegnet. Er war schon jetzt vernarrt in sie.
Als Sevren ins Lager kam, wurden seine Gedanken von der Trompete unterbrochen, die das Eintreffen der königlichen Garde verkündete. Der König kam, von Beratern und Höflingen umgeben, aus einem Zelt, um ihre Huldigung entgegenzunehmen. Sevren schaute sich sein Gefolge im Vorbeireiten an. Kregant II. stand ganz vorn, seine feiste Gestalt war in goldbesticktes Scharlach gekleidet. Das gerötete Gesicht passte zu seiner Kleidung. Seine wackelnden Beine verdarben seine Würde. Obwohl er sich den mittleren Jahren näherte, sah er jünger aus. Ein zartes Bärtchen betonte seine unreife Erscheinung.
Sevren schaute sich auch die Männer an, die den König umgaben. Alle waren ihm vertraut, doch einer überraschte ihn. Othar, der Magier des Königs, schien, seit er ihn zuletzt gesehen hatte, um Jahrzehnte gealtert zu sein. Hätte Sevren es
nicht besser gewusst, hätte er ihn für einen alten Mann gehalten. Doch nicht das Alter hatte an seinen Zügen gezehrt und sie verhärtet. Es kennzeichnete ihn auf eine Weise, die Sevren auf den Gedanken brachte, dass nichts Gutes Othars Gesicht so verwüstet hatte. Nur seine dunklen Augen waren die gleichen geblieben. Sie waren so verhängnisvoll wie immer. Als sie Sevren musterten, richteten dessen Nackenhaare sich auf.
Der König kehrte zu seinem Gelage zurück, und die Gardisten saßen ab und versorgten ihre Pferde. Sevren fütterte Skymere, gab ihm zu saufen und rieb ihn ab, dann kümmerte er sich um seine eigenen Bedürfnisse. Sie waren recht einfach. Er breitete seinen Schlafsack auf dem Boden aus und aß einen Zwieback, den er mit Wasser herunterspülte. Nach dem Essen zog er die Stiefel aus, hüllte sich in seinen Umhang und legte sich schlafen. Der Abend war klar. Als Sevren zu den Sternen aufschaute, dachte er daran, dass sie auch über Averen schienen. Er stellte sich vor, er sei wieder zu Hause und schaue sie sich von seinem eigenen Hof aus an. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Hof zwischen den Bergen an einem See, in dem sich der Sternenhimmel spiegelte. Es war ein alter Traum. Die harten Jahre hatten ihn immer verlockender gemacht. Doch heute Abend fügte Sevren ihm noch etwas hinzu: Er schaute sich die Sterne mit Dar zusammen an.
Twea schlief schon, als Dar Kovok-mahs Unterkunft betrat. Der Ork war noch wach. Er wirkte besorgt, doch seine Stimme war beherrscht. »Du bist nass«, sagte er auf Orkisch.
»Hai, ich habe gebadet und meine Kleider gewaschen«, erwiderte Dar. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, Kovok-mah nie zu belügen, wollte sie ihm nichts über Zna-yat erzählen. Deswegen empfand sie es als Erleichterung, dass Kovok-mah ihr keine weiteren Fragen stellte. Sie hatte allerdings eine Frage
an ihn. Dar ahmte die Geste nach, die der Posten gemacht hatte. »Was bedeutet das?«, fragte sie.
»Baum«, sagte Kovok-mah.
»Wann würde ein Urzimmuthi dieses Zeichen machen?«
»Baum ist Muth’la«, sagte Kovok-mah.
»Wieso?«
»Baum ist Erde und Himmel.«
»Ach so«, sagte Dar. »Der Baum ist wie Muth’la.«
»Thwa«, sagte Kovok-mah. »Der Baum ist Muth’la.«
Ein gespenstisches Gefühl überkam Dar. Nun verstand sie, warum die Wachen so ehrfürchtig gewirkt hatten. Kovok-mah reichte ihr einen trockenen Umhang. Er lag bereit, als hätte er vermutet, dass sie ihn brauchen würde. »Ruh dich jetzt aus«, sagte er leise.
Als Twea sich am nächsten Morgen rührte, blieb Dar in den Umhang gewickelt auf dem Boden liegen. Sie hatte nicht sehr gut geschlafen: Träume von Zna-yat und dem Ertrinken hatten sie geplagt. Ob er wohl noch mal einen Versuch machte, sie umzubringen? Die Logik sagte Ja. Angesichts dieser grässlichen Aussicht begrüßte sie die Vorstellung, dass der Baum Muth’la gewesen war. Wenn die Mutter aller Dinge sie gerettet hatte, beschützte sie sie vielleicht noch einmal. Es war zwar eine unsinnige Hoffnung, doch sie verlieh Dar den Mut, sich dem neuen Tag zu stellen.
Sie stand auf und ging mit Twea fort, um für Davot zu arbeiten. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und in Muth’las Umarmung waren nur zwei Wachtposten zu sehen. Dar befand sich noch im Kreis,
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