Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
klang aufrichtig, doch etwas in ihrem Blick hatte sich aufgehellt. Es war so etwas wie ein Schimmer Hoffnung.
„Danke. Aber das muss es nicht. Es bedeutet doch, dass ich tatsächlich frei bin von dem Drang, nach meiner Vergangenheit zu suchen ... nach ihr zu suchen. Richtig?“
„Das bedeutet, es ist nicht mehr die Suche nach Nina, die dich treibt“, Ninive zeigte den Anflug eines Lächelns, eine Regung, die Isaak bei ihr nie gesehen oder nie wahrgenommen hatte. „Aber was treibt dich dann?“
Isaak antwortete nicht. Er war sich selbst nicht sicher. Er hatte die Überzeugung gehabt, es wäre die Suche nach dem Ursprung der Sangre-Energie gewesen, dem Quell, der die Welt zerstört und sein Leben für immer verändert hatte. Doch welchen Grund hatte er dann gehabt, hierher zurückzukehren und dabei Ninive mitzunehmen? Natürlich, sie hatte ihn darum gebeten, vermutlich um sicher zu gehen, dass es ihm wirklich nicht mehr um Nina ging, doch als er eingewilligt hatte und sie beide zusammen aufgebrochen waren, hatte er das Gefühl, das Ziel zu kennen.
Ninive sah ihn noch immer an. Isaak beschloss, seine Gedanken auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Es war Zeit, mal wieder die Initiative zu ergreifen. Er legte seine Hand auf ihren Arm und spürte den triefenden, durchnässten Stoff des Pullovers. Trotz Ninives Größe war ihr Seamus' Hoodie noch immer zu groß, und er klebte an ihr wie ein nasser Umhang.
„Wenn das Wärterhäuschen schon neu aufgebaut wurde, sollten wir es gegen Wind und Regen nutzen“, sagte er laut gegen eine besonders starke Böe, die den Container neben ihnen unheilvoll ächzen ließ. Sie warteten die Böe ab, dann eilten sie über den nächtlichen Platz auf die kleine Hütte zu.
Es war eine gespenstische Szene. Die Ruine des Clubhauses, vom Licht der fernen Skyline schwach beleuchtet, wurde vom Wind so durchgeschüttelt, dass schwache Schatten in dem Gebäude tanzten, wann immer ein Stück des alten Gemäuers, Reste alter Holzlatten oder Müll, der aus der Stadt herüber geweht war und sich hier verfangen hatte, in Bewegung geriet. Die aufgewühlte, breite, nachtschwarze Elbe walzte sich dahinter wie eine zerstörerische Raupe vorbei.
„Der Fluss ist beängstigend groß!“, rief Ninive hinter ihm. Isaak wartete mit seiner Antwort, bis sie schließlich an der Tür des Wärterhäuschens angekommen waren und den Schutz eines kleinen Vordachs nutzen konnten.
„Die Elbe ist nicht zu vergleichen mit der Seine. Hier auf der Westseite Hamburgs ist der Fluss fast schon ein Teil des Meeres. Die Gezeiten bestimmen sogar in den kleineren Hafenteilen den Betrieb. Zumindest war das früher so“, korrigierte sich Isaak schnell.
„Es ist überwältigend“, Ninive blickte noch einmal zurück zum Fluss, bevor sie um die Ecke der Hütte zu einer kleinen Tür gingen. Isaak drückte die Klinke und die Tür schwang wenige Zentimeter auf, bevor sie durch irgendetwas blockiert wurde.
„Soll ich dir helfen?“, bot sich Ninive an, verstummte jedoch, als Isaak seine Hand hob und ins Innere der Hütte lauschte.
„Ich glaube, ich höre Stimmen“, raunte er ihr zu. Ninive strengte sich an, doch hinter Isaak stehend hörte sie nur das Rauschen des Winds.
„Was sagen sie?“, erkundigte sich Ninive nach einer kurzen Weile. Isaak drehte sich zu ihr um und sah so besorgt aus, dass sie erschrocken die Augen aufriss.
„Ich habe eine Radiodurchsage gehört“, begann er.
„Das heißt, jemand ist da drinnen?“
„Es war die Radiodurchsage, die ich vor einhundert Jahren gehört habe, als ich da oben im Zaun hing und wusste, dass ich zu spät kommen würde. Die exakt selbe Durchsage. Wie kann das sein?“
„Finden wir es raus ...?“
Ninive hatte es wohl als Aufforderung gemeint, doch es endete in einer Frage. Er war genauso unsicher wie sie. Was passierte hier? Natürlich hätte jemand diese Durchsage in einem Radioarchiv hervorholen und in der Hütte abspielen können, aber wer und warum? Und mit welchem Sinn? Andererseits ... er sah Ninive an, dann an sich herab. Sie sahen vielleicht aus wie durchnässte Hunde, aber sie waren trainierte, bewaffnete Kämpfer. Was hatten sie schon vor einer Radioaufzeichnung zu befürchten?
„Gehen wir rein!“, sagte Isaak fest entschlossen, nachdem er tief Luft geholt hatte. „Vielleicht habe ich mich auch nur getäuscht.“
„Ich helfe dir mit der Tür“, Ninive drängte sich neben Isaak und legte die Hände an die Tür. Für einen Moment spürte er die
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